Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Vertragsarztsitz. Erbringung spezieller Untersuchungs- und Behandlungsleistungen in ausgelagerten Praxisräumen. Erforderlichkeit einer räumlichen Nähe der ausgelagerten Praxisräume zum Vertragsarztsitz. jedenfalls keine räumliche Nähe bei Entfernung von über 30 km auch in ländlicher Region

 

Orientierungssatz

1. Nach § 24 Abs 1 und 2 Ärzte-ZV erfolgt die vertragsärztliche Zulassung grundsätzlich nur für den Ort der Niederlassung als Arzt (Vertragsarztsitz).

2. Die Erbringung spezieller Untersuchungs- und Behandlungsleistungen an weiteren Orten in räumlicher Nähe zum Vertragsarztsitz (ausgelagerte Praxisräume) kann nach § 24 Abs 5 Ärzte-ZV zulässig sein.

3. Die gemäß § 24 Abs 5 Ärzte-ZV bestehende Voraussetzung einer räumlichen Nähe zwischen Vertragsarztsitz und den betreffenden Praxisräumen ist aber zumindest dann nicht erfüllt, wenn die betreffenden Praxisräume über 30 km von dem Vertragsarztsitz entfernt sind.

4. Dies gilt auch in ländlichen Regionen.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 6. Dezember 2017 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Untersagung der Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit in ausgelagerten Praxisräumen.

Der Kläger ist Facharzt für Augenheilkunde und im Bereich der Beklagten zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er verfügt über einen halben Vertragsarztsitz in S und einen hälftigen Versorgungsauftrag in L. Mit Schreiben vom 27. März 2015 zeigte er der Beklagten an, dass er für seinen Vertragsarztsitz in S einen ausgelagerten Praxisraum mit der Adresse S d E, B B nutzen wolle.

Durch Bescheid vom 20. April 2015 erklärte die Beklagte, dass die Voraussetzungen eines ausgelagerten Praxisraums nicht erfüllt seien. Die angezeigte Tätigkeit in B B sei nicht zulässig. Einem Arzt sei es nach der Ärzte-ZV gestattet, Untersuchungs- und Behandlungsräume im räumlicher Nähe zu seinem Vertragsarztsitz ausschließlich für spezielle Untersuchungs- und Behandlungszwecke zu nutzen. Es sei ausgeschlossen, in den ausgelagerten Praxisräumen dasselbe Leistungsangebot wie in der eigentlichen Praxis zur Verfügung zu stellen. Der Kläger wolle nach seinem Vorbringen in B B Nachkontrollen im Anschluss an Operationen anbieten, halte Nachkontrollen für operierte Patienten aber auch in S vor. Unabhängig davon sei die Voraussetzung einer räumlichen Nähe nicht erfüllt, weil die Entfernung zwischen dem Praxisstandort in S und dem angezeigten ausgelagerten Praxisraum von 67,6 km eine Fahrtzeit von 42 Minuten erforderlich mache.

Am 5. Mai 2015 erhob der Kläger Widerspruch. Ein Verbot der Erbringung gleichartiger Leistungen am Vertragsarztsitz und den ausgelagerten Praxisräumen gebe es nicht mehr. Das Kriterium der räumlichen Nähe werde erfüllt. Es gebe keine gesetzliche Grundlage für die Forderung der Beklagten, dass der ausgelagerte Praxisraum vom Praxissitz aus in maximal 30 Minuten erreichbar sein müsse. Maßgebend seien stets die Verhältnisse des Einzelfalles. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass in B B nur planbare Untersuchungen, nämlich operative Nachkontrollen mit einem zeitlichen Umfang von zwei Stunden pro Woche stattfinden sollten. Die zeitliche Präsenz am Vertragsarztsitz in S sei dadurch kaum berührt, zumal dort auch ein angestellter Augenarzt für Notfallbehandlungen bereitstünde.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2015 zurück. Die operative Nachsorge sei keine spezielle Untersuchungs- oder Behandlungsleistung für ausgelagerte Praxisstätten. Solche Leistungen würden in jeder Augenarztpraxis als Kernleistung erbracht. Weitere Untersuchungs- und Behandlungsmethoden seien nicht angezeigt worden. Außerdem sei die nach der Rechtsprechung des BSG wichtige Voraussetzung der räumlichen Nähe nicht erfüllt. Die Behauptung, dass der Kläger für die Distanz nicht mehr als 30 Minuten benötige, lasse sich mit den Ergebnissen der Recherchen nicht in Übereinstimmung bringen. Nach den veränderten landesrechtlichen Bestimmungen sei es einem Vertragsarzt allerdings mittlerweile erlaubt, an weiteren Orten gleiche Tätigkeiten wie am Vertragsarztsitz zu verrichten-

Dagegen richtet sich die am 24. November 2015 bei dem Sozialgericht Potsdam eingegangene Klage. Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 6. Dezember 2017 den Bescheid der Beklagten vom 20. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2015 aufgehoben. Zu Unrecht habe die Beklagte dem Kläger ein Tätigwerden an einer ausgelagerten Betriebsstätte untersagt. Bei dem Kläger bestehe die Besonderheit, dass er zwei halbe Versorgungsaufträge an zwei unterschiedlichen Vertragsarztsitzen habe. Es sei nicht ausgeschlossen, an beiden Vertragsarztsitzen ausgelagerte Praxisräume zu betreiben. Von seinem Vertragsarztsitz in L führe der Kläger in ausgelagerten Praxisräumen in L ambulante Ope...

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