Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. Altfall. Verzögerungsrüge. Auslegung eines Schriftsatzes. keine unverzügliche Erhebung. Präklusion von Entschädigungsanspruch und Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer. sozialgerichtliches Verfahren
Leitsatz (amtlich)
Wird eine unverzüglich erforderliche Verzögerungsrüge nicht rechtzeitig erhoben, ist ein Entschädigungsanspruch bis zum Zeitpunkt der Erhebung der Verzögerungsrüge präkludiert (so schon Urteile des LSG Berlin-Brandenburg vom 2.8.2013 - L 37 SF 252/12 EK AL = juris RdNr 37 sowie L 37 SF 274/12 EK AS).
Die Präklusion erstreckt sich nicht nur auf den Entschädigungsanspruch, sondern auch auf eine mögliche Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer (Anschluss an BGH vom 10.4.2014 - III ZR 335/13 = NJW 2014, 1967).
Ob eine Verzögerungsrüge vorliegt, ist durch Auslegung nach den Grundsätzen des § 133 BGB zu ermitteln.
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin zuletzt unter dem Aktenzeichen S 76 KR 1248/09 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 200,00 € zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu 1/18 und zu 17/18 der Kläger zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 3.600,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin zuletzt unter dem Aktenzeichen S 76 KR 1248/09 geführten Verfahrens. Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Am 12. Januar 2009 erhob der Kläger vor dem Sozialgericht Berlin Klage gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund und begehrte - unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide - die Feststellung, dass er in der Zeit vom 01. Januar 1999 bis zum 30. Juni 2005 als abhängig Beschäftigter versicherungspflichtig gewesen sei. Zugleich beantragte er die Beiordnung seines vermeintlichen Arbeitgebers, der Kranken- und Pflegekasse sowie der Bundesagentur für Arbeit. Hintergrund des Rechtsstreits war, dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens für den im fraglichen Zeitraum in einem Fitness-Studio als Fitness- und Aerobictrainer arbeitenden Kläger Versicherungspflicht wegen Selbständigkeit festgestellt hatte.
In dem daraufhin zunächst dem Bereich der Rentenversicherung zugeordneten und unter dem Aktenzeichen S 13 R 183/09 registrierten Verfahren wurde unter dem 05. Februar 2009 der Eingang der Klage bestätigt und der dortigen Beklagten aufgegeben, sich innerhalb eines Monats schriftlich zu äußern. Am 26. Februar 2009 ging deren Stellungnahme ein, in der sie darauf verwies, lediglich einen Statusfeststellungsbescheid erlassen, nicht aber irgendwelche Forderungen geltend gemacht zu haben. Diese Stellungnahme wurde dem Kläger unter dem 02. März 2009 zur Äußerung übersandt. Am 15. April 2009 wurde er erinnert. Mit am 30. Juni 2009 eingegangenem Schriftsatz verwies der Kläger schließlich darauf, dass es um einen Feststellungsbescheid im Rahmen einer Betriebsprüfung nach § 28p des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) gehe und die Sache aus seiner Sicht in den Zuständigkeitsbereich einer Krankenversicherungskammer falle. Dieser Einschätzung schloss sich die Vorsitzende der 13. Kammer an und leitete den Vorgang unter dem 28. Juli 2009 der Hauptregistratur zur Vergabe eines neuen Aktenzeichens zu. Die Sache wurde nunmehr unter dem Aktenzeichen S 36 KR 1248/09 geführt, wovon die Beteiligten mit Schreiben vom 24. August 2009 informiert wurden.
Am 03. September 2009 wurden die Akten auf Anforderung der 30. Kammer für zwei Wochen dorthin übersandt. Nach Rücklauf Mitte September 2009 wurde die damalige Beklagte mit Richterbrief vom 23. September 2009 um verschiedene Informationen sowie um eine Überprüfung ihrer Bescheide im Hinblick auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts vom März 2009 gebeten. Am 21. Oktober 2009 ging die Antwort bei Gericht ein. Mit Beschluss vom darauffolgenden Tag erfolgten antragsgemäße Beiladungen, die jeweils Anfang November 2009 zugestellt wurden. Von der ihnen jeweils eingeräumten Möglichkeit, innerhalb eines Monats eine Stellungnahme abzugeben, machten die Beigeladenen keinen Gebrauch. Am 21. Januar 2010 stufte der damalige Kammervorsitzende den Rechtsstreit daraufhin als entscheidungsreif ein.
Im Folgenden ging das Verfahren auf die 76. Kammer über und wurde nunmehr unter dem Aktenzeichen S 76 KR 1248/09 geführt. Unter dem 13. April 2010 wandte der neue Vorsitzende sich mit einer Anfrage bzgl. vom Kläger benannter geringfügiger selbständiger Tätigkeiten an diesen. Dessen am 20. Mai 2010 eingehende Stellungnahme wurde der Beklagten und den Beigeladenen auf richterliche Verfügung vom 21. Mai 2010 zur - teilweise freigestellten - Stellungnahme übersandt. Am 23. Juni 2010 ging die Äußerung der damaligen Beklagten ein, die den übrigen Verfahrensbeteiligten am 24. Juni 2010 zur freigestellten Stellungnahme übersandt wurde. Zugleich wurde...