Entscheidungsstichwort (Thema)
Halbierung einer Rente wegen rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen aus der Zeit des Erwerbslebens. Unfallversicherung. Verletztenrente. offene Unfallversicherungsbeiträge aus der Zeit der Inhaberschaft einer Firma. Firmeninsolvenz. Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma. Restschuldbefreiungsverfahren über das Privatvermögen. Weiterbestehen der Beitragsansprüche als unvollkommene Verbindlichkeiten. spätere Aufrechnung mit der Verletztenrente. Befriedigung aus der Insolvenzquote und gleichzeitige sozialrechtliche Verrechnung
Orientierungssatz
1. Hat eine Person in ihrem Berufsleben offene Unfallversicherungsbeiträge (hier als Inhaber eines insolventen Betriebs) nicht gezahlt, kann eine spätere Verletztenrente von der Unfallversicherung gemäß § 51 Abs 2 SGB 1 (durch Aufrechnung) bis zur Hälfte gekürzt werden (vgl zur Altersrente LSG Mainz vom 23.10.2013 - L 6 R 163/13 = Breith 2014, 239, LSG München vom 23.4.2013 - L 20 R 819/09 = ZInsO 2013, 2321 und LSG Halle (Saale) vom 10.3.2015 - L 1 R 425/14 B ER, zur Rente wegen voller Erwerbsminderung LSG Darmstadt vom 3.8.2016 - L 5 R 123/15 = InsbürO 2017, 70).
2. Dass die offenen Forderungen des Unfallversicherungsträgers bereits Gegenstand eines Insolvenzverfahrens waren (hier: Firmeninsolvenz sowie Privatinsolvenz mit Restschuldbefreiung), schließt es nicht aus, dass sie später gleichwohl noch zur Aufrechnung gegen Leistungen der Unfallversicherung herangezogen werden können. Denn der unpfändbare Teil der Verletztenrente unterfällt nicht der Insolvenzmasse.
3. Es ist rechtlich zulässig, dass der Sozialversicherungsträger die Rechte als Insolvenzgläubiger wahrnimmt (und durch Anmeldung der Forderung zur Insolvenztabelle zumindest einen Teil der der Ansprüche im Rahmen der quotenmäßigen Befriedigung aller Gläubiger der verfügbaren Insolvenzmasse erhält) und parallel hierzu die weitere, gesetzlich eingeräumte Möglichkeit der Verrechnung nach §§ 52, 51 Abs 2 SGB 1 nutzt.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Oder vom 9. Januar 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für den gesamten Rechtsstreit nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte berechtigt ist, nach Abschluss des Privatinsolvenzverfahrens des Klägers mit Erteilung der Restschuldbefreiung, durch welches ein Teil der Beitragsschulden des Klägers getilgt worden war, die hiernach noch bestehenden bestandskräftig festgestellten Beitragsrückstände aus den Jahren 1992 und 1993 erstmalig und danach fortlaufend in monatlichen Raten teilweise gegen die Verletztenrente aufzurechnen.
Der 1947 geborene Kläger war als Bauingenieur Anfang der 1990er Jahre Inhaber der Baufirma H M. Zuständiger Unfallversicherungsträger war die Rechtsvorgängerin der Beklagten.
Für die Zeit der Mitgliedschaft vom 1. Januar 1991 bis 31. Januar 1994 erhob die Beklagte vom Kläger Beiträge mit Bescheid vom 26. April 1993 für das Jahr 1992 i.H.v. 20.313,27 € und mit Bescheid vom 7. Juni 1994 für das Jahr 1993 i.H.v. 45.367,55 €, insgesamt somit 65.680,82 €.
Nachdem das über das Vermögen der Firma H M eingeleitete Gesamtvollstreckungsverfahren (Amtsgericht Charlottenburg, Beschluss vom 31. Januar 1994, Geschäftsnummer: ) mangels Masse eingestellt worden war (Amtsgericht Charlottenburg, Beschluss vom 21. Juni 1995), verfolgte die Beklagte den Beitragsanspruch durch die Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen weiter.
Aufgrund der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 25. August 1998 bezieht der Kläger von der Beklagten Verletztenrente seit dem 11. Januar 1999 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. (Bescheid vom 27. April 1999 über die Rente als vorläufige Entschädigung und Bescheid vom 4. Februar 2000 über die Gewährung als Dauerrente seit dem 1. März 2000; Stand März 2017: monatlich 305,71 €).
Das Amtsgericht Frankfurt (Oder) eröffnete mit Beschluss vom 1. Dezember 2010 (Geschäftszeichen ) mit Wirkung vom selben Tage das Insolvenzverfahren über das Privatvermögen des Klägers.
Die Beitragsforderungen der Beklagten für die Jahre 1992 und 1993 nahmen an der quotalen Verteilung teil und führten zur Befriedigung in Höhe von 560,70 €.
Seit 1. Dezember 2012 bezieht der Kläger Regelaltersrente von der Deutschen Rentenversicherung Bund (ab 1. Januar 2013 monatlich 1.214,36 € zzgl. Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 88,65 €).
Mit Beschluss des Amtsgerichtes Frankfurt (Oder) vom 26. Januar 2017 (Geschäftszeichen ) wurde dem Kläger die Restschuldbefreiung gemäß § 301 Insolvenzordnung( (InsO) erteilt.
Mit Ermächtigung vom 28. Februar 2017 bat die Fachabteilung „Mitglieder und Beiträge“ der Beklagten diese - unter Beifügung der zur Feststellung der Bestimmtheit des Anspruches erforderlichen Unterlagen - um Aufrechnung der rückständigen Beiträge in Höhe von insgesamt 65.680,82 € zuzüglich noch anfallender Säumniszuschläge mit der dem Kläger gewährten Rentenleis...