Entscheidungsstichwort (Thema)
Meldeobliegenheit. Ruhen. Arbeitsunfähigkeit. Krankengeld
Leitsatz (amtlich)
Zum 1. Januar 2021 wurde die Obliegenheit zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit auf die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen übertragen, eine Meldeobliegenheit der Versicherten besteht unabhängig von den technischen Meldemöglichkeiten des Vertragsarztes nicht mehr
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2022 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um das Ruhen eines Krankengeldanspruchs im Zeitraum vom 31. Januar 2021 bis 9. Februar 2021.
Die als angestellte Augenoptikerin beschäftigte Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse versichert. Am 8. Dezember 2020 stellte der behandelnde Vertragsarzt die Arbeitsunfähigkeit (AU) der Klägerin unter anderem wegen eines Impingement-Syndroms der rechten Schulter ab 9. Dezember 2020 fest. Nach Folgebescheinigungen der Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 30. Januar 2021 stellte der behandelnde Arzt am 27. Januar 2021 die weitere Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bis zum 13. Februar 2021 fest und händigte ihr den amtlichen Vordruck der AU-Bescheinigung aus. Dieser enthielt den Aufdruck „Ausfertigung zur Vorlage bei der Krankenkasse“. Dem behandelnden Arzt stand zu diesem Zeitpunkt noch keine technische Möglichkeit zur Verfügung, die Arbeitsunfähigkeit seiner Patienten elektronisch an die Krankenkasse zu melden. Der behandelnde Arzt und die Klägerin sprachen bei Aushändigung der Folgebescheinigung nicht darüber, wer der Beklagten die Arbeitsunfähigkeit zu melden hat. Die Klägerin ging davon aus, selbst zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Beklagten verpflichtet zu sein. Sie übersandte der Beklagten die Bescheinigung per Post, diese ging am 10. Februar 2021 bei der Beklagten ein.
Mit Bescheid vom 24. März 2021 stellte die Beklagte fest, dass der Klägerin nach Ablauf der Entgeltfortzahlung ab dem 20. Januar 2021 kalendertäglich Krankengeld in Höhe von 44,89 EUR netto zustehe. Mit weiterem Bescheid vom selben Tag stellte die Beklagte das Ruhen des Krankengeldanspruchs vom 31. Januar 2021 bis 9. Februar 2021 mit der Begründung fest, die Meldung der weiteren Arbeitsunfähigkeit habe sie erst am 10. Februar 2021 erreicht. Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. September 2021 zurück.
Am 8. Oktober 2021 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Klage erhoben und geltend gemacht, die AU-Bescheinigung rechtzeitig abgesandt zu haben. Sie bezweifelt eine ordnungsgemäße Erfassung der Posteingänge bei der Beklagten. Mit Urteil vom 22. Juni 2022 hat das Sozialgericht den Ruhensbescheid vom 24. März 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2021 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Krankengeld in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 31. Januar 2021 bis 9. Februar 2021 zu gewähren. Der Krankengeldanspruch der Klägerin ruhe nicht, da nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der ab 1. Januar 2021 geltenden Fassung die Obliegenheit zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit gemäß § 295 Abs. 1 Satz 10 SGB V auf die Vertragsärzte übertragen worden sei. Die unterlassene Meldung durch den Vertragsarzt könne der Klägerin nicht angelastet werden, unabhängig davon, ob der Vertragsarzt technisch zur Meldung in der Lage war. Die gesetzlichen Regelungen seien zwingend und hätten nicht wirksam durch Vereinbarung auf Verbandsebene abbedungen werden können. Das Sozialgericht hat die Berufung zugelassen.
Die Beklagte hat gegen die ihr am 13. Juli 2022 zugestellte Entscheidung am 28. Juli 2022 Berufung eingelegt. Sie vertritt die Ansicht, dass die elektronische Übermittlung der AU-Bescheinigung durch den behandelnden Arzt noch nicht obligatorisch gewesen und die Klägerin weiter verpflichtet gewesen sei, die Arbeitsunfähigkeit fristgerecht zu melden. § 295 Abs. 3 SGB V gestatte den Vertragspartnern des Bundesmantelvertrages, das Nähere über die Erfüllung der Pflichten der Vertragsärzte und die Einzelheiten der Datenübermittlung zu vereinbaren. Nach dieser gesetzeskonformen Regelung habe eine Verpflichtung zur digitalen Übersendung erst ab Oktober 2021 bestanden. Aus § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V folge, dass nicht nur der Vertragsarzt zur Meldung verpflichtet sei. Weise dieser den Versicherten auf fehlende technische Meldemöglichkeiten hin, treffe den Versicherten die Meldeobliegenheit. Vorliegend sei der Klägerin vom Vertragsarzt ein diesbezüglicher Hinweis in Form der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gegeben worden, die einen entsprechenden Aufdruck enthalten habe. Die Versicherten der Beklagten seien zudem im Mitgliedermagazin der Beklagten „fit 02/2021“ über die Notwendigkeit einer Meldung der Arbeitsunfähigkeit aufgeklärt worden. Der vom Sozialgericht an...