Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung: Rente wegen Erwerbsminderung. Berücksichtigung eines Analphabetismus bei der Beurteilung eines bestehenden Zugangs zum allgemeinen Arbeitsmarkt
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einem Versicherten, der vollschichtig leichte Arbeiten mit bestimmten Einschränkungen verrichten kann, kommt eine rentenrechtlich relevante Erwerbsminderung nur in Betracht, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Hierzu zählt ein nicht gesundheitsbedingter Analphabetismus nicht.
2. Für den Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente alten Rechts sind Angelernte auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen.
Orientierungssatz
1. Bei der Beurteilung einer Erwerbsminderung kann eine Leistungseinschränkung nur dann berücksichtigt werden, wenn sie auf einer Krankheit oder Behinderung beruht. Ist es nach dem Gesundheitszustand einem Betroffenen möglich, zumindest mit Einschränkungen einer Erwerbsarbeit nachzugehen, so kann eine Erwerbsminderung nicht allein daraus abgeleitet werden, dass aufgrund eines Analphabetismus der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich nicht möglich ist.
2. Einzelfall zur Beurteilung des Vorliegens einer Erwerbsminderung.
Normenkette
SGB VI § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 2, § 240 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 08. September 2011 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1957 geborene Klägerin verfügt über keinen Berufsausbildungsabschluss. Sie arbeitete seit 1984 bis zuletzt als Reinigungskraft.
Auf ihren Rentenantrag vom 15. März 2007, welchem u.a. Atteste der sie behandelnden Ärzte Dr. Z (Orthopäde) und Ö/ E ( Praktische Ärzte) beigefügt waren, ließ die Beklagte von der Ärztin für Nervenheilkunde C das ärztliche Gutachten vom 23. April 2007 erstellen, welches auf einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 19. April 2007 gründete und in welchem die Gutachterin zur Einschätzung gelangte, dass die Klägerin unter Dysthymie, Somatisierungsstörung und radikulärem Schmerzsyndrom ohne funktionelles Defizit im Lendenwirbelsäulen (LWS)- Bereich leide und bei näher bezeichneten qualitativen Einschränkungen täglich vollschichtig täglich unter den Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten könne.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 18. Mai 2007 ab. Die Klägerin erhob Widerspruch und verwies zur Begründung u.a. auf ein Attest des sie behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie M vom 06.Juli 2007 sowie den Bescheid des Landesamts für Gesundheit und Soziales - Versorgungsamt - vom 21. September 2007, mit welchem ihr ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 bescheinigt wurde. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2007 zurück.
Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 10. Januar 2008 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt, behauptet, nur noch weniger als drei Stunden täglich unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten zu können, und u.a. auf ihren Analphabetismus verwiesen, welcher ihrer Meinung nach bei der Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit mit zu berücksichtigen sei. Das SG hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden o.g. Ärzte sowie das schriftliche Sachverständigengutachten des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. P vom 23. Februar 2009 eingeholt, welcher aufgrund einer ambulanten Untersuchung der Klägerin vom 10. Februar 2009 zum Ergebnis gelangt ist, dass bei der Klägerin Dysthymie, Somatisierungsstörung und Analgetikaabusus bestünden und sie bei näher bezeichneten qualitativen Leistungseinschränkungen über ein vollschichtiges Leistungsvermögen bei medizinisch uneingeschränkter Wegefähigkeit verfüge.
Das SG hat auf Antrag der Klägerin das schriftliche Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie und Forensische Psychiatrie Dr. L vom 23. März 2011 eingeholt, welcher auf psychiatrischem Fachgebiet keine Gesundheitsstörungen festgestellt und ausgeführt hat, die Klägerin verfüge angesichts fachfremder Diagnosen bei näher bezeichneten qualitativen Einschränkungen über ein vollschichtiges Leistungsvermögen bei uneingeschränkter Wegefähigkeit.
Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 08. September 2011 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die tatsächlichen bzw. medizinischen Voraussetzungen einer teilweisen oder vollen Erwerbsminderung seien nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen nicht bewiesen. Der von der Klägerin vorgetragene Analphabetismus sei nicht zu berücksichtigen, weil die gesundheitlichen Verhältnisse einfachste Tätigkeiten, welche das Lesen und Schreiben nicht erforderten, nicht ausschlössen.
Die Klägerin hat gegen den ihr am ...