Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruchsvoraussetzungen des Rechtsinstituts des SHA. Regelaltersrente. Rentenbeginn. verspätete Antragstellung. Hinweispflicht. Pflichtverletzung. Kausalität. Negative Feststellungslast. Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Orientierungssatz
1. Das von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut des SHA ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des sozialrechtlichen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger (oder ein für diesen handelnder Dritter) die ihm aufgrund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten gegenüber erwachsenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (Anschluss: BSG 1993-12-16, 13 RJ 19/92, SozR 3-1200 § 14 Nr. 12, 1999-09-01, B 13 RJ 73/98 R, SozR 3-2600 § 115 Nr. 5).
2. Demnach kommt es insbesondere auf das Vorliegen folgender Voraussetzungen an: Die verletzte Pflicht muss dem Träger gerade gegenüber dem Versicherten obliegen, die zugrunde liegende Norm letzterem also ein entsprechendes subjektives Recht eingeräumt haben. Die objektiv rechtswidrige Pflichtverletzung muss zumindest gleichwertig (neben anderen Bedingungen) einen Nachteil des Versicherten bewirkt haben. Schließlich muss die verletzte Pflicht darauf gerichtet gewesen sein, den Betroffenen gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren (sog. Schutzzweckzusammenhang).
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2010 geändert: Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 25. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2009 verurteilt, der Klägerin ab dem 01. Januar 2005 Regelaltersrente unter Anrechnung der bereits gezahlten Rentenleistungen zu zahlen. Die Berufung wird im Übrigen zurückgewiesen.
Die Beklagte erstattet der Klägerin die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist der Beginn der Regelaltersrente der Klägerin.
Die 1937 geborene kinderlose Klägerin bezieht seit 1976 von der Beklagten Witwenrente, seit 1982 als große Witwenrente in Höhe von zurzeit 543,20 Euro netto. Daneben bezieht sie vom Versorgungsamt B eine Witwengrundrente gem. §§ 38, 40 Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Höhe von derzeit 387,00 Euro sowie seit dem 01. Dezember 1997 von der A Lebensversicherung AG eine Rentenleistung in Höhe von rund 140,00 Euro monatlich. Mit Beschluss des Amtsgerichts S vom 12. Februar 2009 wurde vorläufig und mit Beschluss vom 16. März 2009 endgültig die Betreuung für die Klägerin angeordnet und Herr Peter S zum Betreuer bestellt. Zuvor war die Klägerin
Anfang Januar 2009 in verwahrlostem Zustand zunächst im V A-V-Klinikum aufgenommen, im V Klinikum P B weiter behandelt, später in die M Klinik B zur Rehabilitation verlegt und dort wegen eines Zustands nach Schlaganfall behandelt worden. Von den Kliniken war sodann aufgrund der festgestellten eingeschränkten Urteilsfähigkeit der Klägerin die Anordnung der Betreuung empfohlen worden. Am 10. Februar 2009 erstellte die Psychotherapeutin Dr. W im Auftrag des Amtsgerichts Schöneberg ein Gutachten über die Klägerin, worin sie im Ergebnis einen beginnenden bis mittelgradigen senilen Demenzprozess nach stattgehabtem linkshirnigem älterem Schlaganfall sowie Hinweisen auf vaskuläre Veränderungen der Gefäße des Gehirns feststelle und von der Geschäftsunfähigkeit der Klägerin ausging. Nach den erhobenen Befunden waren die Konzentration, Auffassung und Merkfähigkeit der Klägerin erheblich beeinträchtigt und zeigte der gesamte Bereich des Gedächtnisses deutliche Defizite.
Vor dem Krankenhausaufenthalt hatte die Klägerin langjährig allein in ihrer Wohnung gelebt, sich selbst versorgt und alle anfallenden Geschäfte allein bewältigt. Schulden hatte sie nicht. Kontakt zu Angehörigen bestand nicht, ebenso nicht zu den Nachbarn. Ihre Behördenpost fand der Betreuer in ihrem Wohnzimmerschrank gesammelt, aber nicht weiter geordnet vor.
Mit Schreiben vom 04. März 2009 fragte der Betreuer der Klägerin bei der Beklagten an, ob die Klägerin bereits Altersrente beziehe, ggf. werde diese beantragt. Da noch keine Altersrente gewährt wurde, übersandte die Beklagte die entsprechenden Antragsformulare. Mit Bescheid vom 25. Mai 2009 gewährte die Beklagte der Klägerin Regelaltersrente beginnend zum 01. März 2009. Der Zugangsfaktor betrug aufgrund einer Erhöhung für 83 Kalendermonate 1,415. Ab dem 01. Juli 2009 ergab sich ein Zahlbetrag in Höhe von 511,85 Euro. Mit Widerspruch vom 05. Juni 2009 begehrte der Betreuer die Zahlung der Rente bereits ab dem 19. März 2002 und machte geltend, die Beklagte sei ihren Sorgfalts- und Fürsorgepflichten der Klägerin gegenüber nicht nachgekommen. Nachdem zur Vollendung des 65. Lebensjahres kein Altersrentenantrag der Klägerin eingegangen sei, hätte die Beklagte reagieren und prüfen müssen, warum der Rentenanspruch nicht geltend gemacht werde. Geg...