Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialverwaltungsrecht: Verrechnung von Beitragsrückständen mit laufenden Zahlungen. Voraussetzungen der Verrechnung. Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit eines Verrechnungsbescheides. richtige Klageart gegen eine Verrechnung

 

Orientierungssatz

1. Ein die Verrechnung einer laufenden Leistung mit bestehenden Verbindlichkeiten regelnder Sozialverwaltungsakt (hier: Beitragsschulden aus Sozialversicherungsabgaben zur Verrechnung mit laufenden Rentenzahlungen) ist hinreichend bestimmt, wenn sich aus dem Verfügungssatz, gegebenenfalls in Verbindung mit der Begründung die zu verrechnende Forderung, einschließlich möglicher Nebenforderungen, dem Grund und der Höhe nach ergibt und sich der monatliche Verrechnungsbetrag erkennen lässt. Dagegen ist es nicht erforderlich, dass die zu verrechnende Forderung nach Umfang, Entstehungszeitpunkt, Bezugszeitraum oder Fälligkeit aufgeschlüsselt wird.

2. Soweit im Rahmen einer Verrechnung von Sozialleistungen tatsächlich ein höherer Betrag, als im Verrechnungsbescheid ausgewiesen war, verrechnet wurde, berührt dies die Wirksamkeit des Bescheides nicht.

3. Ein Verrechnungsbescheid setzt voraus, dass tatsächlich eine Verrechnungslage im Zeitpunkt des Erlasses bestand. Ist eine solche nicht nachweisbar, geht dies zu Lasten des Forderungsinhabers.

4. Im Fall der Verrechnung von Forderungen eines Sozialversicherungsträgers mit laufenden Zahlungen bleibt die Anfechtungsklage auch nach Abschluss der Verrechnung die zulässige Klageart.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. Januar 2009 geändert.

Der Bescheid vom 24. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2006 wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte und die Beigeladene tragen jeweils die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers im gesamten Verfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Verrechnung von Forderungen der Beigeladenen mit Rentenzahlungen der Beklagten.

Der 1939 geborene, sich in I aufhaltende Kläger bezieht von der Beklagten seit 1. November 2005 Regelaltersrente (RAR; Bescheid vom 1. Februar 2006; Nachzahlungsbetrag für die Zeit vom 1. November 2005 bis 31. März 2006 = 4.693,75 €). Die Beigeladene hatte die Beklagte bereits mit Ersuchen vom 8. April 1987 schriftlich zur Verrechnung rückständiger Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 1. Dezember 1984 bis 30. April 1985 nebst Säumniszuschlagen und Kosten iHv insgesamt 6.434,10 DM ermächtigt. Auf Nachfrage der Beklagten nach Bewilligung der RAR teilte die Beigeladene mit, die dem Verrechnungsersuchen zugrunde liegende Forderung bestehe noch iHv “gegenwärtig„ 7.162,76 € zuzüglich weiterer Säumniszuschläge iHv monatlich 24,- € ab 16. Februar 2006 und beruhe auf dem öffentlich zugestellten und vollstreckbaren Bescheid vom 14. Mai 1999 (Schreiben vom 1. Februar 2006).

Nach Anhörung des Klägers (Schreiben vom 9. Februar 2006) erklärte die Beklagte diesem gegenüber, die Forderung der Beigeladenen werde mit der Hälfte der sich aus dem Bescheid vom 1. Februar 2006 ergebenden Rentennachzahlung iHv 2.346,87 € verrechnet. Ferner werde aus der laufenden Rentenzahlung ab 1. Mai 2006 (= 938,75 € monatlich) ein monatlicher Betrag iHv 220,- € im Verrechnungswege einbehalten (Bescheid vom 24. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2006). Die letzte Verrechnung erfolgte mit der Rentenzahlung für April 2008. Seit Mai 2008 zahlt die Beklagte dem Kläger die laufende Rente ungekürzt. An die Beigeladene überwies sie am 1. Juli 2009 den - verrechneten - Gesamtbetrag iHv 7.626,87 € (einbehaltene Nachzahlung iHv 2.346,87 € zzgl 24 Monatsbeträge à 220,- € von Mai 2006 bis April 2008).

Mit seiner Klage hat der Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, er werde durch die Verrechnung hilfebedürftig. Er legt eine Auskunft des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in M vom 31. Mai 2007 nebst Anlagen vor; hierauf wird Bezug genommen.

Das Sozialgericht (SG) hat die auf Aufhebung des Bescheides vom 24. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2006 und Erstattung der einbehaltenen Beträge bzw ungeschmälerte Auszahlung der RAR gerichtete Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 20. Januar 2009). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die Beklagte sei gemäß § 52 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) iVm § 51 Abs. 2 SGB I berechtigt, die bezeichneten Forderungen der Beigeladenen mit der hälftigen RAR-Nachzahlung und iHv 220,- € mit den laufenden Rentenzahlungen zu verrechnen. Es habe eine Verrechnungslage vorgelegen. Die Beklagte habe die Verrechnung auch wirksam erklärt. Hilfebedürftigkeit des Klägers habe nicht vorgelegen bzw sei nicht eingetreten. Denn seine RAR habe auch nach Verrechnung weit über dem italienischen Existenzminimum gelegen bzw liege weit darüber. Ermessensfehle...

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