Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Beitragsnachforderung. Beschäftigung in Deutschland aufgrund Entsendung. deutsch-polnisches Entsendeabkommen. Bindungswirkung von Entsendebescheinigungen D/PL 101. Aufhebung. anwendbares Recht. keine Einstrahlung im Sinne von § 5 SGB 4, wenn keinerlei tatsächliche Geschäftstätigkeit im Ausland
Orientierungssatz
1. Für die Frage, ob eine Entsendung im Sinne eines bilateralen Abkommens vorliegt, ist das Recht des Entsendestaats ausschlaggebend. Die von diesem Staat ausgestellten sogenannten Entsendebescheinigungen haben zwar keine konstitutive Wirkung, sondern nur deklaratorische Bedeutung. Die deutschen Sozialleistungsträger und die deutschen Sozialgerichte sind allerdings grundsätzlich nicht berechtigt, Entscheidungen des ausländischen Trägers über die nach dessen Recht maßgebenden Voraussetzungen für die Entsendung von Arbeitnehmern zu überprüfen. Sie sind lediglich zu einer Prüfung berechtigt, ob die im anderen Vertragsstaat zuständige Stelle die Vorschriften des Abkommens richtig angewandt hat (vgl BSG vom 16.12.1999 - B 14 KG 1/99 R = BSGE 85, 240 = SozR 3-5870 § 1 Nr 17).
2. Zur Aufhebung der Bindungswirkung einer Entsendebescheinigung (hier: D/PL 101) (vgl EuGH vom 6.2.2018 - C-359/16 = ABl EU 2018, Nr C 123, 3).
3. Der Geltungsbereich des § 5 SGB 4 ist eröffnet, wenn die Entsendung „im Rahmen“ eines bereits bestehenden ausländischen Beschäftigungsverhältnisses erfolgt. Fehlt es an diesem Rahmen kann keine Einstrahlung vorliegen.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen sowie die Feststellung der Versicherungspflicht zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) bei der Klägerin in der Zeit von Juni bis November 2001.
Die Klägerin ist eine seit Dezember 2000 in W/Polen eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach polnischem Recht (Spólka z organiczona odpowiedzialnoscia - sp. z o.o.), deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer Herr ZCh ist. Im März 2001 gründete er eine in B ansässige Zweigniederlassung der Klägerin, deren Geschäftsgegenstand Maurer- und Putzerarbeiten war. Die Zweigniederlassung wurde im Handelsregister des Amtsgerichtes Berlin Charlottenburg am 16. Juli 2001 registriert und nach Aufhebung der Zweigniederlassung am 13. September 2006 gelöscht.
Der Beigeladene zu 1) war für die Klägerin ab dem 25. Juni 2001 auf verschiedenen Baustellen in der Bundesrepublik Deutschland tätig. Für seine Tätigkeit in der Zeit vom 25. Juni 2001 bis zum 30. November 2001 stellte die zuständige polnische Behörde (Zakład Ubezpieczeń Społecznych - ZUS) am 4. Juli 2001 eine Entsendebescheinigung D/PL 101 aus, nach welcher er für die Zeit seiner Entsendung in die Bundesrepublik Deutschland gemäß dem deutsch-polnischem Abkommen über Sozialversicherung von Arbeitnehmern, die in das Gebiet des anderen Staates vorübergehend entsandt werden, den Rechtsvorschriften der Republik Polen über Sozialversicherung unterliegt und die Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland über die Sozialversicherung keine Anwendung finden. Als Arbeitsstelle in Deutschland war die Zweigniederlassung der Klägerin in B angegeben.
Im Rahmen eines durch die Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes O eingeleiteten Ermittlungsverfahrens gab der Geschäftsführer der Klägerin am 21. März 2002 an, dass die Klägerin erstmals im Mai 2001 in Polen sowie in Deutschland tätig geworden sei. Im Mai 2001 seien in Polen drei Arbeitnehmer und in Deutschland ca. zehn Arbeitnehmer beschäftigt gewesen. Bei den Arbeitnehmern handele es sich um Deutsche mit festem Wohnsitz in Polen. Im Monat Mai seien die in der Zweigniederlassung beschäftigten Arbeitnehmer über diese angestellt gewesen, ab Juni 2001 seien Arbeitsverträge mit der polnischen Hauptniederlassung über entsandte Mitarbeiter geschlossen worden. Die Arbeitnehmer seien in Deutschland von Mai bis November 2001 in R, von Juli bis September 2001 in Bad S und von November bis Dezember 2001 in H und D eingesetzt gewesen. Die in Deutschland eingesetzten Arbeitnehmer seien nur dort und nicht in Polen tätig gewesen. Für die Zweigniederlassung in Deutschland seien Büroräume angemietet worden, wohingegen die Hauptniederlassung durch den Geschäftsführer aus einem Büroraum in seiner polnischen Wohnung geleitet werde. Hierfür sei er ca. alle zwei Wochen für einen Tag in Polen gewesen. Seit Dezember 2001 habe die Klägerin keine Arbeitnehmer mehr, die Geschäftstätigkeit ruhe.
Die Lohn- und Gehaltsabrechnungen für den Beigeladenen zu 1) wurden jeweils von der Zweigniederlassung in B erstellt und wiesen ...