Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Versicherungspflicht selbständiger Hebammen. Geburtshaus. Verfassungsmäßigkeit. gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum. generalisierende und typisierende Regelung
Orientierungssatz
1. Hebammen unterliegen auch dann der Rentenversicherungspflicht, wenn sie Hilfskräfte beschäftigen.
2. Der Gesetzgeber hat traditionell bestimmte Berufsgruppen selbständig Tätiger in die Rentenversicherungspflicht einbezogen, die er im Rahmen des ihm zukommenden weiten Ermessensspielraumes bei der Gesetzgebung im Sozialrecht und der dabei zulässigen Typisierung generell als schutzbedürftig ansieht. Auf die konkrete soziale Schutzbedürftigkeit kommt es nicht an.
3. Die gesetzliche Regelung ist verfassungsgemäß. Insbesondere ist der Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG nicht verletzt. Der Schutzbereich des Art 12 GG wird durch die Einbeziehung selbständig tätiger Personenkreise in die Pflichtversicherung nicht berührt.
4. Die selbständig tätige Hebamme ist nicht nach § 2 S 1 Nr 2 SGB 6 von der Versicherungspflicht befreit, weil sie als in der Säuglingspflege tätige Pflegeperson versicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigt. Sie bestimmt die Art und den Umfang der erforderlichen Behandlung der Schwangeren selbst.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht in ihrer Tätigkeit als Hebamme.
Die 1962 geborene Klägerin betreibt seit 1996 als Hebamme in einer mit einer weiteren Hebamme gegründeten Gesellschaft bürgerlichen Rechts - GbR - das Geburtshaus in dem auch angestellte Hebammen beschäftigt sind.
Am 27. September 2001 beantragte sie erstmals bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht mit der Begründung, dass sie nach einer Babypause am 01. September 2001 ihre Tätigkeit als Hebamme in der GbR wieder aufgenommen habe und sie mehrere Angestellte beschäftige. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05. März 2002 ab. Den hiergegen zunächst eingelegten Widerspruch nahm die Klägerin am 07. Mai 2002 zurück.
Am 18. Juli 2002 stellte die Klägerin erneut, vertreten durch den Bund Deutscher Hebammen e. V., einen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht mit der Begründung, dass sie eine versicherungspflichtige Angestellte beschäftige. In verfassungskonformer Auslegung des § 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI - sei die Befreiungsmöglichkeit für Pflegepersonen nach § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI auch auf die freiberuflichen Hebammen des § 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI anzuwenden.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. September 2002 mit der Begründung ab, dass keine gesetzliche Vorschrift bestehe, nach der die Klägerin von der Versicherungspflicht befreit werden könne.
Den am 02. Oktober 2002 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2003 zurück. Für selbständig tätige Hebammen und Entbindungshelfer bestehe keine Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht; diese seien auch dann versicherungspflichtig, wenn sie einen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigten.
Die Klägerin hat am 05. März 2003 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt hat. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen, sie sei als Inhaberin eines Geburtshauses gleichzeitig eine Pflegeperson, die in der Wochen- und Säuglingspflege tätig ist und im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit einen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftige. Sie sei daher nach § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI von der Versicherungspflicht freizustellen. Selbst wenn § 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI für freiberuflich tätige Hebammen auch bei gleichzeitigem Vorliegen aller Tätigkeitsmerkmale des § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI eine lex specialis sei, gebiete eine verfassungskonforme Auslegung entsprechend Art. 3 des Grundgesetzes (GG), ihr die Befreiungsmöglichkeit zu gewähren. Hilfsweise sei § 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Überprüfung vorzulegen. Art. 3 Abs. 1 GG sei vorliegend verletzt, weil sich kein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung zwischen freiberuflich tätigen Hebammen und Pflegepersonen fände. Es ließe sich auch kein Unterschied von solcher Art und solchem Gewicht zwischen diesen beiden Gruppen finden, der eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könne. Dem könne auch nicht entgegengehalten werden, dass dem Gesetzgeber eine weitgehende Befugnis zur Vereinfachung und Typisierung zustehe. Es müsse gleichwohl ein Förderungs- und Lenkungsziel erkennbar sein, das die unterschiedliche gesetzgeberische Entscheidung trage. Bei den zunehmend sich in der Bundesrepublik Deutschland ausbreitenden Geburtshäusern könne den diese betreibenden Hebammen nicht mehr entgegengehalten werden, dass die Pflegeberufe in der Regel mehr kapitalintensiv ausgerichtet ...