Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Anfechtungsklage gegen einen Bescheid über die Ersatzverpflichtung (Richtgrößenprüfung). vollständige Aufhebung des Bescheides durch Urteil. Rechtsauffassung des Arztes jedoch in den Entscheidungsgründen überwiegend nicht gefolgt. materielle Beschwer. Befugnis zur Berufung. reine Ausführungsbescheide, die nach einem Urteil ergehen. kein Gegenstand der Berufung nach § 96 SGG. Rechtskraft von Entscheidungsgründen in Bescheidungsurteilen. Nichteinlegung der Berufung gegen das materiell beschwerende Urteil durch Arzt. Klageerhebung gegen Ausführungsbescheid. keine Erfolgsaussicht wegen entgegenstehender Rechtskraft
Leitsatz (amtlich)
1. Wird auf die Anfechtungsklage gegen einen Bescheid über die Ersatzverpflichtung (Richtgrößenprüfung) dieser zwar durch Urteil vollständig aufgehoben, der Rechtsauffassung des Arztes/der Ärztin jedoch in den Entscheidungsgründen überwiegend nicht gefolgt, kann darin eine materielle Beschwer liegen, die Befugnis zur Berufung begründet.
2. Reine Ausführungsbescheide, die nach einem Urteil ergehen, werden nicht nach § 96 SGG Gegenstand der Berufung.
3. Der Rechtskraft unterliegen in Bescheidungsurteilen auch die Entscheidungsgründe.
4. Legt der Arzt/die Ärztin keine Berufung gegen das materiell beschwerende Urteil ein, kann er/sie gegen einen Ausführungsbescheid wegen entgegenstehender Rechtskraft nicht mit Aussicht auf Erfolg neu Klage erheben.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 22. Mai 2017 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Regressbescheid für das Jahr 2003.
Sie nimmt als Hausärztin an der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Der Prüfungsausschuss setzte mit Beschluss vom 6. September 2007 im Rahmen der Richtgrößenprüfung für das Jahr 2003 gegen die Klägerin eine Ersatzverpflichtung in Höhe von 69.971,50 € fest. Auf den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin reduzierte der Beschwerdeausschuss (Beklagter) den Betrag auf 50.022,12 € Beschluss vom 12. Mai 2009).
Mit der dagegen am 28. Juli 2009 erhobenen Klage zum Sozialgericht Berlin (S 79 KA 507/09) machte die Klägerin Praxisbesonderheiten geltend, so sei ihre Praxis durch eine Vielzahl von chronisch multimorbiden Patienten gekennzeichnet. Sie habe mehr als 100 Bewohner stationärer Pflegeeinrichtungen zu versorgen, die überwiegend in Pflegestufe 2 und 3 eingruppiert seien (nicht nur Pflegestufe 1 und 2 wie im Widerspruchsverfahren vom Beklagten angenommen). Sie habe bereits gegenüber der Regressfestsetzung für das Jahr 2002 ausgeführt, dass die zugrunde liegenden Datensätze in erheblichem Umfang fehlerhaft seien, da ihre eigene Praxissoftware mehr als die Hälfte geringere Verordnungskosten ausweise. Die verwendeten Daten seien auch 2003 zu mehr als 5 % fehlerhaft (nämlich zu 11,3 %). Außerdem bestehe eine wirksame Richtgrößenvereinbarung für 2003 wegen verspäteter Veröffentlichung nicht. Speziell für das Jahr 2003 sei keine Richtgrößenvereinbarung abgeschlossen worden und eine Fortgeltung einer früheren sei nicht angeordnet; § 89 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) beziehe sich nur auf Schiedsvereinbarungen. Der Fall, dass eine Richtgrößenvereinbarung gänzlich fehle, sei aber nicht mit dem vergleichbar, dass diese nur verspätet veröffentlicht werde (dazu B 6 KA 63/04 R). Die Veröffentlichung der Weitergeltung der Richtgrößenvereinbarung 2002 im KV-Blatt 5/2003 helfe nicht. Zudem bestünden durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Richtgrößenvereinbarung.
Auch der Entscheidung des Beschwerdeausschusses liege das fehlerhafte Datenmaterial zugrunde. Die elektronisch übermittelten Datensätze wiesen weiter eine Fehlerquote von mehr als 5 % (nämlich 8,21 %) aus. Das Ausstellungsdatum von zugrunde gelegten Verordnungen sei teilweise nicht nachvollziehbar bzw. nicht angegeben (Versichertennummer oder Medikamentenbezeichnung fehlten). Die Prüfgremien seien deswegen verpflichtet, Originalverordnungsblätter anzufordern. Sie habe diese Datenfehler auch hinreichend konkretisiert. Die gesamten Verordnungskosten seien durch Praxisbesonderheiten bedingt, nicht nur in Höhe der im Widerspruchsverfahren anerkannten 23.628,57 Euro. Alle individuellen Umstände seien zu berücksichtigen, so auch eine Massierung bestimmter Krankheits- und Diagnosebilder, nicht nur die in Anlage 2 der Prüfvereinbarung genannten. Ihre Praxis weise einen großen Rentneranteil mit hohem Durchschnittsalter aus. Es liege ein überdurchschnittlich hoher Frauenanteil sowie von Patienten mit Dauerdiagnosen vor. Zu berücksichtigen sei ein hoher Anteil multimorbider Patienten mit Diabetes mellitus sowie Schmerzpatienten (Kosten der Schmerztherapie seien voll anzuerkennen, auch Vorstufen zu Bet...