Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen aG. Gleichstellung mit den in Abschn 2 Nr 1 zu § 46 Nr 11 StVOVwV genannten Personen. große Anstrengung. Erschöpfung nach kurzer Wegstrecke. kein mobilitätsbedingter Grad der Behinderung

 

Orientierungssatz

1. Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" - außergewöhnliche Gehbehinderung - hat der mit einem GdB von 80 anerkannte Schwerbehinderte, der sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeugs bewegen kann (vgl BSG vom 29.3.2007 - B 9a SB 5/05 R = Behindertenrecht 2008, 138 und vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R = BSGE 90, 180 = SozR 3-3250 § 69 Nr 1).

2. Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung darf nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen sein.

3. Die für das Merkzeichen "aG" geforderte große körperliche Anstrengung ist gegeben, wenn die Wegstreckenlimitierung darauf beruht, dass der Betroffene bereits nach kurzer Wegstrecke erschöpft ist und Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann.

4. Es ist nicht Voraussetzung für das Merkzeichen "aG", dass sich der GdB von 80 gerade auf Funktionsstörungen bezieht, die sich auf die Fortbewegungsfähigkeit auswirken.

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. November 2012 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin auch deren außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die erstinstanzliche Kostenentscheidung bleibt hiervon unberührt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Erteilung des Merkzeichens “aG„ (außergewöhnliche Gehbehinderung).

Die 1940 geborene Klägerin, zu deren Gunsten der Beklagte mit Bescheid vom 1. März 2010 einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen “G„ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) festgestellt hatte, beantragte bei dem Beklagten am 6. Mai 2010 unter anderem die Feststellung eines höheren GdB sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen “aG„. Der Beklagte holte einen ärztlichen Befundbericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin Y vom 15. August 2010 sowie eine gutachtliche Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin und Gutachters Dr. K vom 15. September 2009 ein und stellte mit Bescheid vom 14. Oktober 2010 diesem folgend einen GdB von 90 und bei Bestätigung des Merkzeichens “G„ die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen “B„ (Notwendigkeit einer Begleitperson) fest. Dem GdB lagen folgende Einzel-GdB zugrunde:

- Erkrankung der linken Brust in Heilungsbewährung (Einzel-GdB: 50),

- Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung, operierte Bandscheibe, Spinalkanalstenose, Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule, Osteoporose (Kalksalzminderung des Knochens), außergewöhnliche Schmerzreaktion (Einzel-GdB: 50),

- Depression, psychosomatische Störungen (Einzel-GdB: 30),

- Knorpelschäden am Kniegelenk, Funktionsstörung durch Fuß- und Zehenfehlform beidseits (links operativ behandelt) (Einzel-GdB: 20),

- Teilverlust des Dickdarmes, Darmwandausstülpungen (Divertikulose) (Einzel-GdB: 20),

- Funktionsbehinderung der Schultergelenke rechts (Einzel-GdB: 20),

- Speiseröhrengleitbruch (Hiatushernie), chronische Magenschleimhautentzündung (Einzel-GdB: 10),

- Verlust der Gallenblase (Einzel-GdB: 10),

- Migräne (Einzel-GdB: 10),

- rezidivierende Krampfaderentzündung (Einzel-GdB: 10),

- Schilddrüsenunterfunktion (Einzel-GdB: 10),

- Bronchialasthma (Einzel-GdB: 10).

Den auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen “aG„ gerichteten Antrag der Klägerin lehnte der Beklagte ab.

Den gegen die unterbliebene Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen “aG„ gerichteten Widerspruch wies der Beklagte nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme der Ärztin für Chirurgie Dr. G vom 27. Dezember 2010 durch Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2011 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 17. Februar 2011 Klage erhoben. Dem Sozialgericht hat sie Arztbriefe der O. Klinik vom 1. April 2011 über eine ambulante Vorstellung der Klägerin vom 24. März 2011, der Fachärztin für Radiologie Dr. K vom 19. Juli 2011 und des Facharztes für Physikalische Medizin und Rehabilitation und Facharztes für Neurologie Dr. R vom 28. Juli 2011 übermittelt.

Das Sozialgericht hat Befundberichte bei der Allgemeinärztin Y vom 16. Oktober 2011 und dem Facharzt für Chirurgie, Gefäßchirurgie und Unfallchirurgie Dr. L vom 27. Oktober 2011 eingeholt.

Nach Übersendung einer fachinternistischen Stellungnahme der Fachärztin für Innere Medizin R vom 18. November 2011 und einer fachchirurgischen Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie H vom 24. November 2011 durch den Beklagten holte das Sozialgericht ein orthopädisch-unfallchirurgis...

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