Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Multiple Sklerose. sekundär-progrediente-chronische Form. kein Anspruch auf Kostenerstattung auf intravenöse Immunglobulinbehandlung mit Fertigarzneimittel Polyglobin 10%. Überwindung des Erlaubnisvorbehalts nach § 135 Abs 1 SGB 5
Orientierungssatz
1. Eine Versicherte, die an einer sekundär-progredienten-chronischen Form der Multiplen Sklerose leidet, hat auch nach neuer Datenlage keinen Anspruch auf Kostenerstattung für eine intravenöse Immunglobulinbehandlung mit dem Fertigarzneimittel "Polyglobin 10%".
2. Das Verbot des § 135 Abs 1 SGB 5 kann auch in Fällen eines Systemmangels nur überwunden werden, wenn zum Behandlungszeitpunkt ein ausreichender Wirksamkeitsnachweis vorlag, sodass eine positive Entscheidung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss veranlasst gewesen wäre. Ein zu einem späteren Zeitpunkt erbrachter Wirksamkeitsnachweis kann das Verbot auch erst zu diesem Zeitpunkt entfallen lassen (vgl BSG vom 28.3.2000 - B 1 KR 11/98 = BSGE 86, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung von 4.776,98 €, die die Klägerin für das jeweils nach privatärztlicher Verordnung beschaffte Fertigarzneimittel Polyglobin 10% aufgewendet hat.
Die 1955 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie erkrankte 1981 an Multipler Sklerose (MS) und bezieht eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Krankheit hat sich mittlerweile zu einer sekundär-chronischen MS mit Schüben entwickelt.
Seit August 1995 erhielt die Klägerin eine immunmodulatorische Therapie mit Interferon-Beta (Betaferon). Im Verlauf dieser Behandlung stellten sich erhebliche Nebenwirkungen ein, insbesondere entwickelte sich eine grippeähnliche Symptomatik, sowie eine Verstärkung der Spastik. Aus diesem Grunde wurde die Therapie mit Betaferon abgesetzt.
Über ihren behandelnden Arzt für Neurologie und Psychiatrie H B beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 13. Januar 2000 die Kostenübernahme für die Therapie mit intravenösen Immunglobulinen (IvIg).
Am 26. Januar 2000 erhielt die Klägerin erstmals das IvIg-Präparat Polyglobin 10 %, und zwar als Sachleistung der Beklagten nach ausgestellten ärztlichen Verordnungen ihres behandelnden Arztes, der als Vertragsarzt zugelassen ist. Polyglobin 10 % ist nicht für die Behandlung von MS-Patienten arzneimittelrechtlich zugelassen. In Folge von Regressmitteilungen an den behandelnden Arzt B verordnete dieser Polyglobin 10 % jeweils am 24. August 2001, 11. September 2001, 1. November 2001, 10. Dezember 2001 und 2. Januar 2002 nur noch auf Privatrezept. Die Klägerin bezog das Arzneimittel über die Apotheke und musste hierfür jeweils 1.852,59 DM bzw. 988,12 € (insgesamt 4.776,98 €) aufwenden. Nach Einschaltung des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MdK), der seinerseits eine gutachtliche Äußerung des Chefarztes der neurologischen Abteilung des Krankenhauses Neukölln Prof. Dr. G einholte, und der von dort abgegebenen Stellungnahmen vom 14. Februar 2000 und 31. Juli 2000 lehnte die Beklagte eine Übernahme der Therapiekosten für die Therapie mit IvIG ab (Bescheid vom 21. März 2000, Widerspruchsbescheid vom 21. September 2000). IvIg sei für die Behandlung bei MS nicht zugelassen und eine Leistungspflicht der Krankenkasse scheide damit aus.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass ihr Therapiemöglichkeiten mit anderen für die Behandlung von MS zugelassenen Arzneimitteln nicht zur Verfügung gestanden hätten. Sie habe die Therapie mit Betaferon nicht mehr vertragen und das von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden benannte Arzneimittel Avonex scheide ebenso aus, weil Avonex nur für die schubförmig remittierende MS zugelassen sei. Das Mittel Copaxone habe gleichfalls in Deutschland noch keine Zulassung für die Behandlung von MS. Im Übrigen sei die Behandlung mit Betaferon nicht günstiger als die IvIg Therapie. Insgesamt habe mit der IvIg Therapie eine deutliche Befundbesserung erzielt werden können. Ihre Gangunsicherheit sei verschwunden; sie habe ihren Gehstock nicht mehr benötigt und größere Wegstrecken eigenständig zurücklegen können.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 4. September 2003 abgewiesen. Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V komme nicht in Betracht, denn ein solcher Kostenerstattungsanspruch trete lediglich an die Stelle eines an sich gegebenen Sachleistungsanspruchs, den die Kasse infolge eines Versagens des Beschaffungssystems nicht erfüllt habe. Er könne deshalb nur bestehen, soweit die selbst beschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehöre, welche die gesetzlichen Krankenkassen als Sach- und Dienstleistung zu erbringen hätten. Das sei hier nicht der Fall, denn die Behandlung der sekundär-chronischen MS mit dem für die...