Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. erweiterter Bewertungsausschuss. Beschlüsse über besonders förderungswürdige Leistungen. Zuschlag zum Orientierungswert. außerbudgetäre Leistungen. Verpflichtung zur Nachzahlung zusätzlicher morbiditätsbedingter Vergütung. Verstoß gegen höherrangiges Recht. eingeschränkter Umfang gerichtlicher Kontrolle
Leitsatz (amtlich)
1. Für seine Beschlüsse über besonders förderungswürdige Leistungen vom 27./28.8.2008 und 2.9.2009 verfügt der erweiterte Bewertungsausschuss über keine gesetzliche Rechtsgrundlage; sie können insbesondere nicht auf § 87b Abs 4 S 2 SGB 5 gestützt werden.
2. Die Beschlüsse verstoßen gegen § 82 Abs 2 S 1, § 85 Abs 2 S 1 und 2, Abs 1 S 1 und § 87a Abs 3 SGB 5 einerseits und § 87a Abs 2 S 2, Abs 3 S 5 und § 87b Abs 3 S 5 Halbs 2 SGB 5 andererseits und stehen damit auch im Widerspruch zu höherrangigem Recht.
Orientierungssatz
Entscheidungen des erweiterten Bewertungsausschusses sind ebenso wie Schiedssprüche nach § 89 Abs 1 SGB 5 nur in eingeschränktem Umfang gerichtlicher Kontrolle zugänglich.
Nachgehend
Tenor
1. Der Beschluss des Beklagten vom 17. März 2009, Sätze 2, 5 und 6 (“Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses zur Verhinderung ungewollter Honorarverluste für besonders forderungswürdige Leistungen„) in der Fassung des Beschlusses vom 20. Mai 2009 (“Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses zur Anpassung und Anordnung der sofortigen Vollziehung seines Beschlusses vom 17. März 2009„) wird aufgehoben.
2. Der Beschluss des Beklagten vom 2. September 2009, Teil C, Ziffer 3.1, Sätze 2 und 6 sowie Satz 5, soweit dieser die Vergütung nach Satz 2 betrifft, wird aufgehoben.
3. Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Rechtsstreits je zur Hälfte.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (im Folgenden: Kläger) wendet sich gegen Beschlüsse des Erweiterten Bewertungsausschusses für die vertragsärztliche Versorgung (im Folgenden: Beklagter) zur Verhinderung ungewollter Honorarverluste für besonders forderungswürdige Leistungen.
Durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 378) führte der Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. Januar 2009 eine neues Vergütungssystem für den vertragsärztlichen Bereich ein. Ein zentrales Element dieser Neuregelung bestand in der Schaffung einer Gebührenordnung mit festen Preisen in Euro (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 16/3100, Seite 119). In diesem Zusammenhang werden auf Landesebene jährlich die regional geltenden Punktwerte für das Folgejahr vereinbart (§ 87a Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch [SGB V]). Grundlage der Vereinbarung der Punktwerte sind die bundeseinheitlichen Orientierungswerte, die der von dem Kläger und der beigeladenen Kassenärztlichen Bundesvereinigung zu bildende Bewertungsausschuss festlegt (§ 87 Abs. 2e Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB V). Auf diese bundeseinheitlichen Orientierungswerte kann auf der Landesebene entweder ein Zuschlag oder ein Abschlag vereinbart werden, um insbesondere regionalen Besonderheiten bei der Kosten- und Versorgungsstruktur Rechnung zu tragen (§ 87a Abs. 2 Satz 2 SGB V). Bei der Beurteilung dieser Besonderheiten sind die Vertragspartner an die Indikatoren gebunden, die der Bewertungsausschuss jährlich festlegt (§ 87 Abs. 2f i.V.m. § 87a Abs. 2 Satz 3 SGB V). Zuschlag oder Abschlag dürfen nicht nach Arztgruppen oder Kassenarten differenzieren (§ 87a Abs. 2 Satz 4 SGB V). Damit wollte der Gesetzgeber insgesamt erreichen, regionale Preisunterschiede, für die es keine sachliche Rechtfertigung gibt, abzubauen (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf, a.a.O.).
Zu den vom Beklagten mit Beschluss vom 27./28. August 2008 getroffenen Regelungen zählte unter anderem die erstmalige Festlegung des Orientierungswerts nach § 87 Abs. 2e Satz 1 Nr. 1 SGB V für das Jahr 2009 (Beschlussteil A). Der Orientierungswert wurde auf 3,5058 Cent festgesetzt, mit Beschluss vom 23. Oktober 2008 korrigiert auf 3,5001 Cent (“Regelfallpunktwert der Euro-Gebührenordnung„).
Teil H Nr. 5 des Beschlusses vom 27./28. August 2008 ermöglichte die Vereinbarung leistungsbezogener Zuschläge zum Orientierungswert:
Den Partnern der Gesamtverträge wird empfohlen, die Höhe der nach der Neubewertung dieser Leistungen zu zahlenden Vergütung auch unter Berücksichtigung der bisherigen gesamtvertraglichen Regelungen zu überprüfen und festzustellen, ob zur Sicherung einer angemessenen Vergütung ergänzende Regelungen erforderlich sind. Hierfür können leistungsbezogene Zuschläge zum Orientierungswert vereinbart werden.
In seiner Nichtbeanstandungsverfügung vom 3. November 2008 wies das Bundesministerium für Gesundheit darauf hin, dass die leistungsbezogenen Zuschläge zum Orientierungswert allein aus Rückstellungen gemäß § 87b Abs. 3 Satz 5 SGB V zu finanzieren seien. In einem Schreiben vom 24. November 2008 präzisierte das Bundesministerium dies: § 87a Abs. 3 SGB V sehe ausdrückl...