Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. Cannabis. Genehmigungsfiktion. Beginn der Entscheidungsfrist frühestens mit Inkrafttreten der Anspruchsgrundlage
Leitsatz (amtlich)
Die Entscheidungsfrist des § 13 Abs 3a S 1 SGB V beginnt frühestens an dem Tag zu laufen, an dem die materiell-rechtliche Norm, auf die der Antragsteller sein Leistungsbegehren stützt, in Kraft tritt.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Versorgung des Klägers mit Medizinal-Cannabis sowie um die Erstattung von Aufwendungen zum Erwerb von Cannabisprodukten.
Der im Jahr 1990 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Am 28. Februar 2017 stellte die Betreuerin des Klägers für diesen einen Antrag auf Kostenübernahme für „verordnete Cannabisblüten/Zustimmung Therapie“. Sie führte aus, dass der Kläger Schmerzpatient sei. Im Jahr 2015 sei bei ihm die Diagnose Fibromyalgie gestellt worden. Er sei durch die Schmerzen stark eingeschränkt und behandele diese derzeit selbst und mit Erfolg mit Cannabis. Ab März 2017 trete ein neues Gesetz in Kraft, welches ermögliche, Cannabisblüten per Rezept in der Apotheke zu beziehen. Der Schmerzarzt des Klägers sowie seine Hausärztin befürworteten diese Medikation. Damit der Schmerztherapeut ein Rezept für Cannabisblüten ausstelle, werde die Zustimmung zur kontrollierten Behandlung mit Cannabis durch die Beklagte benötigt.
Mit Schreiben vom 3. März 2017 bat die Beklagte für eine Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) um ergänzende Unterlagen und Informationen, warum im Fall des Klägers keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Anwendung kommen könne und welches Präparat genau zum Einsatz kommen solle. Ferner informierte sie darüber, dass das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften (Cannabis) noch nicht in Kraft getreten sei. Sie wies darauf hin, dass die Entscheidungsfrist nach dem Antrag fünf Wochen betrage. Da noch Unterlagen fehlten, sei diese Frist außer Kraft gesetzt.
Am 17. März 2017 sprach der Kläger persönlich bei der Beklagten vor und reichte ein Rezept seines behandelnden Anästhesiologen und Schmerztherapeuten Dr. G vom selben Tag über die Verordnung von Sativex® drei mal zwei Sprühstöße sowie Cannabisblüten Pedianios 14/1 (NRF 22.12) 50g 2x tgl. 100mg ein. Dem fügte er den Therapievertrag vom selben Tag bei. In diesem wurden als Dauerdiagnosen eine Fibromyalgie an mehreren Lokalisationen, eine gastroösophageale Refluxkrankheit mit Ösophagitis, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Störung, sonstige cannabinoidbedingte psychische und Verhaltensstörungen und eine chronische Gastritis, nicht näher bezeichnet, angegeben. Als Therapieziele wurden eine Schmerzlinderung von derzeit 9 auf 5-6 der numerischen Analogskala, ein strukturierter Tagesablauf, eine Reduktion auf 2-4 mal Cannabiseinnahme und eine Konditionierung angegeben.
Weiter beigefügt wurde ein Krankenhausentlassungsbericht des I Krankenhauses B für eine stationäre Behandlung des Klägers vom 29. September bis 07. Oktober 2015. Dort wurden die Diagnosen eines Fibromyalgiesyndroms, eines Zustandes nach Pneumonie links im Jahr 2014, einer Reflux-Ösophagitis und anamnestisch von rezidivierenden Harnwegsinfekten gestellt. Eine entzündlich-rheumatologische Grunderkrankung wurde von den behandelnden Ärzten ausgeschlossen.
Ferner wurde ein Attest der behandelnden Allgemeinmedizinerin Frau L vom 27. Februar 2017 eingereicht, welche bestätigte, dass mehrere Behandlungsversuche mit Schmerzmitteln wie Novalminsulfon, Sympal, Diclofenac und Ibuprofen bei der Schmerztherapie keinen wesentlichen Erfolg erbracht hätten. Auch Tramal und Tilidin hätten nicht lange vorgehalten. Ein Krankenhausaufenthalt in B mit physiotherapeutischer Behandlung und Ergotherapie habe die Schmerzen nicht gebessert, so dass eine Therapie mit Cannabis durchaus zu erwägen wäre.
Am 06. April 2017 erstellte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK) auf Veranlassung der Beklagten ein sozialmedizinisches Gutachten zu der Frage der beantragten Kostenübernahme. Der MDK stellte fest, dass der Kläger an Fibromyalgie erkrankt sei. Ferner bestehe eine Cannabisabhängigkeit. Eine schwerwiegende Krankheit im Sinne des § 31 Abs. 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) liege bei ihm nicht vor. Vertragsärztliche Behandlungsoptionen seien noch nicht zum Einsatz gekommen. Für die Behandlung einer Fibromyalgie stünden Antidepressiva und eine kombinierte Anwendung von psychotherapeutischen und körperlich aktivierenden Verfahren im Vordergrund. Bei Vorliegen einer cannaboidbedingten psychischen Verhaltensstörung sei der Ei...