Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Unterkunft und Heizung. Berücksichtigung der besonderen Bedarfe älterer Menschen. angemessene Unterkunftskosten. Fehlen eines schlüssigen Konzepts des Sozialhilfeträgers. Rückgriff auf einen qualifizierten Mietspiegel oder die Tabellenwerte der Wohngeldtabelle. angemessene Heizkosten. Überschreitung des Produkts aus angemessener Wohnfläche und dem Grenzwert eines Heizkostenspiegels

 

Leitsatz (amtlich)

1. Fehlt ein schlüssiges Konzept des Sozialhilfeträgers zu den Kosten der Unterkunft, welches in Anwendung des § 35a SGB XII besondere Bedarfe älterer Menschen berücksichtigt, sind die tatsächlichen Aufwendungen für die Bruttokaltmiete als Bedarfe anzusetzen. Die Spruchreife zum Begriff der angemessenen Kosten kann im SGB XII anders als im SGB II nicht durch Anwendung eines qualifizierten Mietspiegels oder des Wohngeldgesetzes mit einem pauschalierten Aufschlag hergestellt werden.

2. Bei den Heizkosten kann den besonderen Bedarfen älterer Menschen dagegen dadurch Rechnung getragen werden, dass erst eine erhebliche Überschreitung des Produkts aus angemessener Wohnfläche und dem Grenzwert nach einem Heizkostenspiegel zur Unangemessenheit führt (nicht angenommen bei einer Überschreitung von weniger als 20 %).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 02.09.2021; Aktenzeichen B 8 SO 13/19 R)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. März 2014 wird aufgehoben.

Die Bescheide des Beklagten vom 14. Juni 2012 – dieser, soweit er den Kläger zu 1) betrifft – und vom 22. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2013 sowie des Teilanerkenntnisses vom 31. März 2014 werden geändert und der Beklagte verurteilt, den Klägern für den Kalendermonat Dezember 2011 pro Person weitere 178,50 € und für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 30. November 2012 monatlich jeweils pro Person weitere 151,60 € zu zahlen. Ferner werden die Bescheide des Beklagten vom 22. Februar und 8. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2013 und vom 5. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2013 geändert und der Beklagte verurteilt, den Klägern für die Zeit vom 1. Dezember 2012 bis zum 31. Mai 2013 ebenfalls monatlich jeweils pro Person weitere 151,60 € zu zahlen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger für den gesamten Rechtsstreit.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung höherer Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (im Folgenden: Grundsicherung) nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs/Zwölftes Buch (SGB XII) für die Zeit von Dezember 2011 bis einschließlich Mai 2013, konkret in Gestalt eines höheren Bedarfs für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH).

Der im Dezember 1938 geborene Kläger zu 1) und die im Juni 1944 geborene Klägerin zu 2) sind verheiratet. Seit 1974 bewohnen sie gemeinsam in B-F den im selben Jahr fertiggestellten Anbau zu einem bereits vorhandenen Wohnhaus, dem Elternhaus des Klägers zu 1). Der Kläger zu 1) verkaufte das zuvor in seinem Eigentum stehende Hausgrundstück, auf dem er seinen Angaben nach mit kurzen Unterbrechungen seit seiner Geburt gewohnt hatte, nach 2004 angeordneter Zwangsversteigerung im Jahr 2005. Der Erwerber war der Lebensgefährte einer Tochter der Kläger. Die Tochter und ihr Lebensgefährte bewohnten bis zum Eigentumsübergang als Mieter, danach aufgrund Eigentumsrechts eine Wohnung in dem Wohnhaus.

Mit Wirkung ab 1. September 2005 schlossen beide Kläger mit dem Erwerber einen Mietvertrag über die bis dahin von ihnen aufgrund Eigentumsrechts des Klägers zu 1) bewohnten Räumlichkeiten. Nach diesem Mietvertrag umfasst die Wohnung eine Fläche von insgesamt 120 m², davon entfallend 76 m² auf Wohnräume und 44 m² auf Nutzflächen (Boden- und Kellerräume). Die Wohnräume teilen sich nach dem Mietvertrag in 2 ½ Zimmer, Küche, Bad und Diele auf. Als Mietzins ohne Kosten für Heizung und Warmwasser waren und sind 600,-- € zuzüglich eines Vorschusses von 125,-- € auf die sogenannten kalten Betriebskosten und von 115,-- € auf die Heizkosten (ohne Warmwasserkosten) vereinbart. Nach Angaben der Kläger muss der Keller unter dem Anbau durch die Art der Heizungsanlage zwingend mitbeheizt werden. Die Raumheizung erfolgt zentral mittels Heizöl als Energieträger, die beheizte Gesamtwohnfläche des Wohnhauses mit dem Anbau beträgt 191 m². Warmwasser wird dezentral elektrisch erzeugt.

Erstmals 2007 beantragte der Kläger zu 1) bei der Beklagten ergänzende Leistungen der Grundsicherung. Zu diesem Zeitpunkt bezog er eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem Zahlbetrag von monatlich 587,83 €, die Klägerin zu 2) Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II). Der zuständige Leistungsträger nach dem SGB II berücksichtigte als Bedarf für KdUH die Hälfte der nach dem Mietvertrag zu entrichtenden Bruttomiete, entsprechend 420,-- €. In gleicher Weise berücksichtigte der...

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