Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Wirtschaftlichkeitsprüfung. Arzneimittelregress gegenüber einer Gemeinschaftspraxis. Rechtwidrigkeit eines Regressbescheides für Zeitraum vor der Errichtung. Unzulässigkeit einer Antragsfrist für die Zeit von 2000 bis 2003. Rechtmäßigkeit eines Regressbescheides beim Off-Label-Use
Orientierungssatz
1. Ansprüche der KV im Zusammenhang mit Honorarberichtigungen oder Honorarrückforderungen richten sich gegen die Gemeinschaftspraxis selbst und nicht gegen nur einzelne ihr angehörende Ärzte. Das gilt auch für Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung sowie für Regresse wegen unwirtschaftlicher oder unzulässiger Verordnungen von Arznei- bzw Heil- und Hilfsmitteln. Nicht die Behandlungs- und Verordnungsweise des einzelnen Arztes, sondern der Gemeinschaftspraxis ist Gegenstand der Prüfung durch die Prüfgremien gem § 106 SGB 5 (vgl BSG vom 16.7.2003 - B 6 KA 49/02 R = SozR 4-5520 § 33 Nr 1 = BSGE 91, 164). Daraus folgt, dass ein gegen die Gemeinschaftspraxis gerichteter Bescheid für ein Quartal vor dem Zeitpunkt der Errichtung der Gemeinschaftspraxis in vollem Umfang rechtswidrig ist.
2. Der Gesetzgeber ging für die Zeit vom 1.1.2000 bis zum 31.12.2003 davon aus, dass jede Form der Wirtschaftlichkeitsprüfung von Amts wegen zu erfolgen hatte (vgl BSG vom 2.11.2005 - B 6 KA 63/04 R = SozR 4-2500 § 106 Nr 11 = BSGE 95, 199). War demnach ein Antrag in diesem Zeitraum keine Verfahrensvoraussetzung, kann es auch nicht auf die Einhaltung einer Antragsfrist in einer Prüfvereinbarung ankommen.
3. Zur Frage der Rechtmäßigkeit der Festsetzung eines Regresses wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel im Rahmen des Off-Label-Use auch für die Zeit vor Erlass des Urteils des BSG vom 19.3.2002 - B 1 KR 37/00 R = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 = BSGE 89, 184.
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Juni 2006 und der Bescheid der Beklagten vom 25. März 2003 werden aufgehoben, soweit sie Regresse für das Quartal I/2000 betreffen. Im Übrigen wird die Berufung der Berufungskläger zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens vor des Sozialgericht zu 4/10 und der Beklagte und die Beigeladene zu 2) zu 6/10, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1), die diese selbst trägt.
Die Berufungskläger tragen die Kosten des Verfahrens vor dem Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg zu 4/10, der Beklagte und die Beigeladene zu 2) zu 6/10, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1), die diese selbst trägt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Regress wegen der Verordnung des zu den Immunglobulinen zählenden, intravenös (i.v.) zu verabreichenden Arzneimittels Polyglobin 5%/10 % durch die Berufungskläger in den Quartalen I und III/2000.
Der Berufungskläger zu 1) nimmt an der hausärztlichen Versorgung in Berlin teil. In der Zeit vom 1. Juli 2000 bis zum 31. Dezember 2004 führte er mit der Berufungsklägerin zu 2), einer Internistin, eine Gemeinschaftspraxis. Der Berufungskläger zu 1) verordnete im Quartal I/2000 seinem bei der Beigeladenen zu 2) krankenversicherten, 1966 geborenen Patienten J M (im Folgenden: der Versicherte) zur Behandlung der Erkrankungen “embryonales Hodenkarzinom mit Lungenmetastasierungen„ das Arzneimittel Polyglobin 5 % bzw. 10%. Dieselben Verordnungen nahmen Mitglieder der Gemeinschaftspraxis im Quartal III/2000 vor. Die Verordnungen betrafen
|
- im Quartal I/2000 |
7 Fälle |
- im Quartal III/2000 |
5 Fälle. |
Diese Arzneimittel sind nach der Fachinformation (Stand: September 1999 bzw. Februar 2000) für folgende Anwendungsgebiete zugelassen:
Polyglobin wird eingesetzt zur Substitution bei primären und sekundären Immunmangelkrankheiten zur Vorbeugung und Behandlung von damit einhergehenden Infektionen sowie zur Modulation und Kontrolle der Immunantwort der Patienten bei verschiedenen Erkrankungen
Primäre Immunmangelsyndromen wie
- Kongenitale Agammaglobulinämie und Hypogammaglobulinämie
- Allgemeine, variable Immunmangelkrankheiten
- Schwere kombinierte Immunmangelkrankheiten
- Wiskott-Aldrich Syndrom
Sekundäre Immunmangzustände:
- bei chronisch-lymphatischer Leukämie (CLL) oder Multiplem Myelom mit rezidivierenden bakteriellen Infektionen
durch Immunmodulation behandelbare Erkrankungen wie:
- Idiopathische (autoimmune) thrombozytopenische Purpura (ITP) bei Erwachsenen und Kindern in kritischen Situationen oder vor Operationen
- Kawasaki Syndrom (in Verbindung mit einer Acetylsalicylsäure-Therapie)
- Allogene Knochenmarktransplantation
- Guillain-Barré Syndrom mit fortschreitenden Lähmungserscheinungen
- Anwendung bei Kindern: Für die Anwendung von intravenösem Immunglobulin bei Kindern mit Guillain-Barré Syndrom liefern die begrenzten Erfahrungen aus kleineren klinischen Studien und Fallberichten keine ausreichende Basis.
Aids bei Kindern.
Mit am 25. Mai 2001 beim Prüfungsausschuss eingegangen Schreiben stellte die BKK Ber...