Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Erforderlichkeit einer stationären Krankenhausbehandlung. stationäre Endoxan-Therapie bei Multipler Sklerose

 

Orientierungssatz

1. Die Erforderlichkeit stationärer Krankenhausbehandlung eines Versicherten nach § 27 Abs 1 S 1 iVm § 39 Abs 1 S 2 SGB 5 ist allein an medizinischen Maßstäben zu messen. Es bedarf neben der generellen auch und gerade der individuellen Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung im Einzelfall.

2. Zu den allgemeinen Maßstäben für die medizinische Erforderlichkeit einer stationären Krankenhausbehandlung.

2. Neuartige Behandlungsverfahren bedürfen entgegen der ambulanten Versorgung im Rahmen einer Krankenhausbehandlung keiner besonderen Zulassung und sind nur dann ausgeschlossen, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss dazu eine negative Stellungnahme abgegeben hat.  

3. Die Gabe von Cyclophosphamid zur Behandlung der Multiplen Sklerose ist für die stationäre Versorgung nicht ausgeschlossen.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. April 2008 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, an die

Klägerin 5.927,11 Euro nebst zwei Prozent Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15. Mai 2004 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Krankenhausbehandlungskosten in Höhe von 5.927,11 Euro.

Der bei der Beklagte krankenversicherte F leidet seit 1990 unter schubförmig progredienter Multipler Sklerose. F. befand sich vom 17. Dezember 2001 bis zum 21. Dezember 2001 und danach im Zeitraum 14. Februar 2002 bis 1. März 2003 insgesamt achtmal in jeweils zweitägiger stationärer Behandlung bei der Klägerin (Abteilung für Neurologie). Zur Behandlung seiner Erkrankung erhielt er dort die intravenöse Gabe von Cyclophosphamid (Handelsname: Endoxan). Als “Aufnahmegrund„ ist im ersten Aufnahmebogen “Endoxan-Therapie„ notiert; auch in den Folgeintervallen erfolgte die Überweisung durch den behandelnden Neurologen Dr. H und die stationäre Aufnahme zur Fortsetzung der Endoxan-Therapie. Arzneimittelrechtlich ist Cyclophosphamid als Zytostatikum für die Therapie verschiedener Krebserkrankungen, nicht aber zur Behandlung der Multiplen Sklerose zugelassen.

Für diese acht Behandlungsintervalle stellte die Klägerin der Beklagten insgesamt 5.927,11 Euro in Rechnung, die diese zunächst beglich.

Auf Veranlassung der Beklagten äußerte sich der Medizinischen Dienstes der Krankenkassen Berlin-Brandenburg (MDK, Dr. S) mit Gutachten vom 9. September 2003 erstmals zur Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung. Diese sei ausschließlich zur Sicherstellung einer nicht zugelassenen Therapie erfolgt. Eine akute Verschlechterung der Multiplen Sklerose, welche der besonderen Mittel des Akutkrankenhauses bedurft hätte, sei nicht ersichtlich. Es seien keine medizinischen Aspekte erkennbar, weshalb eine spezialisierte ambulante Behandlung nicht ausreichend gewesen wäre.

Mit Schreiben vom 22. September 2003 teilte die Beklagte der Klägerin daraufhin mit, dass die Behandlungskosten nicht hätten beglichen werden dürfen; es werde um Rückerstattung von 5.927,11 Euro gebeten. Mit Schreiben vom 2. April 2004 erinnerte die Beklagte die Klägerin an die Erstattungsforderung und teilte mit, dass der bereits gezahlte Betrag von laufenden Rechnungen abgesetzt werde, sofern bis zum 22. April 2004 keine Antwort eingehe. Nachdem eine Erstattung nicht erfolgt war, rechnete die Beklagte am 14. Mai 2004 in Höhe von 5.927,11 Euro mit Forderungen der Klägerin auf, die aus der Behandlung der Patienten M, S, Z und R (insgesamt 6.429,31 Euro) resultierten.

Mit Schreiben vom 26. Mai 2004 begründete die Chefärztin der Abteilung für Neurologie im Hause der Klägerin, Prof. Dr. H, die Behandlung des F. mit Cyclophosphamid. Die Beklagte hielt jedoch an ihrem Standpunkt fest, nachdem Dr. S sich für den MDK am 2. Juli 2004 erneut dahingehend geäußert hatte, dass ein Erfolg der Behandlung mit Cyclophosphamid nicht belegt sei.

Am 5. Januar 2006 hat die Klägerin Klage auf Zahlung von 5.927,11 Euro für die Behandlung der Patienten M, S, Z und R erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgebracht: Es fehle schon an einer Aufrechnungserklärung der Beklagten. Auch bestehe kein Rückforderungsanspruch. Die Behandlung mit Cyclophosphamid sei aufgrund des konkreten Therapieverlaufs bei F. und angesichts von dessen gravierendem Leiden indiziert gewesen und entspreche auch den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und den Leitlinien zur Therapie der Multiplen Sklerose. Der klinische Zustand des F. sei durch eine schwere Behinderung mit hochgradiger Ataxie und schwerster spastischer Paraparese der Beine geprägt gewesen. Eine ambulante Therapie mit Cyclophosphamid sei bei einem Patienten dieses Schweregrades nicht möglich. Der Patient müsse liegend und gut fixiert infusioniert werden, um Paravasate des Zytostatikums zu verhindern. Aufgrund der Kontinenzprobleme sei dies unt...

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