Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Rechtmäßigkeit eines die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts
Orientierungssatz
1. Der Geltungszeitraum einer Eingliederungsvereinbarung (EV) kann nach § 15 Abs. 3 S. 1 SGB 2 flexibel vereinbart werden. Sie soll spätestens nach Ablauf von sechs Monaten gemeinsam überprüft und fortgeschrieben werden. Nach S. 2 sind bei jeder folgenden EV die bisher gewonnenen Erfahrungen zu berücksichtigen.
2. Die Einzelheiten dieses gesetzlich vorgesehenen Überprüfungsmechanismus sind in der EV konkret zu regeln.
3. Wird eine EV durch Verwaltungsakt ersetzt, so sind diese Regelungen nach denselben Maßstäben zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen wie bei einer EV (BSG Urteil vom 23. 6. 2016, B 14 AS 42/15 R). Ein eine EV ersetzender Verwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn er keine konkreten Regelungen hinsichtlich der Überprüfung und Fortschreibung trifft, insbesondere keinen spätesten Zeitpunkt dafür benennt.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 13. Juni 2019 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 31. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2017 rechtswidrig gewesen ist.
Der Bescheid des Beklagten vom 12. September 2017 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit von eine Eingliederungsvereinbarung (EV) ersetzenden Verwaltungsakten.
Die 1965 geborene Klägerin steht seit Jahren im Leistungsbezug des beklagten Jobcenters. Nachdem es nicht zum Abschluss einer EV gekommen war, erließ der Beklagte einen diese ersetzenden Verwaltungsakt (Bescheid vom 31. Januar 2017; Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2017). Dieser sollte "bis auf weiteres" gültig sein und enthielt Regelungen ua zur Teilnahme der Klägerin an einer Integrationsmaßnahme, zu deren Bewerbungsbemühungen und der Übernahme von Bewerbungskosten sowie (unter Nr 7) zur Fortschreibung des Verwaltungsaktes.
Im Laufe des sich anschließenden Klageverfahrens erließ der Beklagte am 12. September 2017 einen neuen eine EV ersetzenden, ab 19. September 2017 gültigen Verwaltungsakt. Auch dieser sollte "bis auf weiteres" gültig sein und die EV vom 3. Februar 2017 fortschreiben (vgl Nr 8 des Bescheides). Das Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder) hat die Klage gegen den Bescheid vom 31. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2017 abgewiesen, weil dieser sich durch Zeitablauf und Ersetzung durch den Bescheid vom 12. September 2017 erledigt habe (Gerichtsbescheid vom 13. Juni 2019).
Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen dieses Urteil und rügt, dass das SG entgegen § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht über den Ersetzungsbescheid vom 12. September 2017 entschieden habe.
Sie beantragt nach ihrem Vorbringen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 13. Juni 2019 und den Bescheid des Beklagten vom 31. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2017 sowie den Bescheid vom 12. September 2017 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist ebenso begründet wie die Klage gegen den Bescheid vom 12. September 2017, der den Bescheid vom 31. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2017 für die Zukunft ersetzt hat, wodurch dieser seine Erledigung fand (§ 39 Abs. 2 SGB X; vgl Bundessozialgericht ≪BSG≫, Urteil vom 21. März 2019 - B 14 AS 28/18 R = SozR 4-4200 § 15 Nr 7 - Rn 9). Über den letztgenannten Bescheid war vom Berufungsgericht erstinstanzlich kraft Klage zu befinden, weil das SG hierüber entgegen § 96 Abs. 1 SGG keine Entscheidung getroffen hat.
Der Zulässigkeit der Berufung steht nicht die Wertgrenze des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG entgegen, denn diese greift nicht im Streit um den eine EV ersetzenden Verwaltungsakt. Dieser ist - anders als beim Rechtsschutz gegen eine Meldeaufforderung (vgl dazu BSG vom 26. Juni 2018 - B 14 AS 431/17 B - Rn 4; BSG vom 18. Februar 2019 - B 14 AS 11/18 B - Rn 4: Höhe einer Leistungsminderung bei einem Meldeversäumnis- beide juris) - nicht iS des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG auf eine betragsmäßig konkret berechenbare Geldleistung gerichtet, sondern konkretisiert das Sozialrechtsverhältnis zwischen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und Jobcentern mit wechselseitigen Rechten und Pflichten und dem Ziel der Eingliederung in Arbeit, ohne bloße Anknüpfungsgrundlage für mögliche Sanktionsentscheidungen zu sein (vgl BSG, Urteil vom 21. März 2019 - B 14 AS 28/18 R - Rn 10).
Über den Bescheid vom 31. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1...