Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Hörgerät. Anspruch auf bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder. Kostenerstattung über den Festbetrag hinaus. Maßgeblichkeit des Zeitpunkts des unbedingten Verpflichtungsgeschäfts

 

Leitsatz (amtlich)

Versicherte haben Anspruch auf diejenige Hörgeräteversorgung, die nach dem jeweiligen Stand der Medizintechnik die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaubt (vgl BSG vom 17.12.2009 - B 3 KR 20/08 = BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2).

Eine Kostenerstattung des über dem Festbetrag liegenden Kostenanteils bei einem selbst beschafften Hörgerät hängt maßgeblich von dem Zeitpunkt des unbedingten Verpflichtungsgeschäfts mit dem Leistungserbringer ab.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 2. Mai 2019 aufgehoben sowie die Bescheide der Beklagten vom 29. März 2016 und 15. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2017 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger weitere Kosten in Höhe von 4.363 € zu erstatten.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das gesamte Verfahren mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen hat.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Kosten der beidseitigen Versorgung mit Hörgeräten über den Festbetrag hinaus in Höhe von 4.363 €.

Der 1961 geborene, bei der Beigeladenen rentenversicherte und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger ist seit 1993 Berufsschullehrer und Ausbilder für Landwirtschaft und Gartenbau an der Bildungseinrichtung B e.V. Er unterrichtet lernbehinderte und verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler im Klassenraum, im Freien und teilweise bei der Vorführung von Geräten und bei laufenden Motorgeräuschen.

Der Kläger wurde wegen einer mittelgradigen Schwerhörigkeit sowohl im Jahr 2003 als auch im Jahr 2010 beidseits mit Hörhilfen versorgt. Den den Festbetrag überschreitenden Anteil übernahm die Beigeladene jeweils im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Teilhabe.

Der Kläger weist einen Grad der Behinderung von 30 auf.

Am 17. Dezember 2015 verordnete der behandelnde HNO-Arzt Dr. B dem Kläger wegen beidseitigem Hörverlust durch Schallempfindungsstörung die erneute Versorgung mit Hörgeräten.

Der Kläger testete daraufhin bei der Hörgeräteakustikerin M W nach dem Freiburger Sprachtest vier Hörgeräte mit den folgenden Testergebnissen:

Hörgerät

Eigenanteilsfrei

Freifeld

Nutzschall 65 dB

Freifeld

Störschall 60 dB

Widex Unique 440 U4-XP

Nein   

95%     

80%     

Oticon Get 13 Power

Ja    

90%     

80%     

Phonak Baseo Q15-P

Ja    

90%     

80%     

Starkey Z Series i110

Nein   

95%     

80%     

Nach dem Anpass- und Abschlussbericht der Hörgeräteakustikerin vom 3. März 2016 wies der Kläger im Ergebnis der Freifeldmessung (65dB, 1 m Abstand) DIN 45621, ohne Hörsystem beidseitig ein Sprachverstehen von 30% und mit Hörsystem - den Geräten Widex Unique 440 U4-XP - von 95 % auf. Daraus ergab sich ein Hörgewinn beidseits von 65 %.

Eine vorformulierte Empfangsbestätigung des Versicherten sowie die Erklärung zu Mehrkosten zur aufzahlungspflichtigen Hörsystemversorgung mit den Geräten Widex Unique 440 U4-XP unterschrieben die Hörgeräteakustikerin W am 21. Januar 2016 und der Kläger am 3. März 2016. Die in dem Vordruck zur Empfangsbestätigung des Versicherten enthaltene folgende Formulierung (vgl. Anhang 4.2 des Vertrags zur Komplettversorgung mit Hörsystemen zwischen der Bundesinnung für Hörgeräteakustik und der nachfolgend benannten Ersatzkassen vom 1. Juli 2015, zu denen auch die Beklagte gehört): „Es ist mein ausdrücklicher Wunsch, keine aufzahlungsfreie Hörgeräteversorgung zu erproben.“ war mit dem handschriftlichen Zusatz „wurde erprobt“ versehen. Weiterhin enthielt der Vordruck den Zusatz: „Ich habe mich für eine Versorgung mit Aufzahlung entschieden. Das/die Hörsysteme habe ich erhalten. Mit der von mir zu leistenden höheren Vergütung bin ich einverstanden.“

Mit Kostenaufstellung vom 15. März 2016 machte die Hörgeräteakustikerin gegenüber der Beklagten die Kostenübernahme für die Hörgeräteversorgung nach Abzug der gesetzlichen Zuzahlung von 20 € in Höhe von insgesamt 1.514,02 € geltend. Der Kläger bestätigte darin mit seiner Unterschrift, die Leistung erhalten zu haben.

Nach dem Kostenvoranschlag der Hörgeräteakustikerin vom 18. März 2016 beliefen sich die Kosten für die Hörgeräte Widex Unique 440 U4-XP nach Abzug des Zuschusses in Höhe von 1.534,02 € zuzüglich der gesetzlichen Eigenleistung in Höhe von 20 € auf einen Betrag in Höhe von 4.383 € (Gesamtpreis von 5.897,02 €).

Mit Antragsformular vom 20. März 2016, eingegangen bei der Beigeladenen am 24. März 2016, stellte der Kläger bei dieser einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für einen berufsbedingten Mehrbedarf in Bezug auf eine Hörhilfe. In der Anlage zur Kostenübernahme für Hilfsmittel und technische Arbeitshilfen, die behin...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?