Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Vergangenheit - Leistungsausschluss bei Bezug einer russischen Altersrente - Erstattungsanspruch - Erfüllungsfiktion. Sozialhilfeträger
Tenor
Auf die Berufungen des Beklagten und des Beigeladenen wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. August 2021 geändert. Die Klage gegen den Beklagten wird abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig sind die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) II (seit 1. Januar 2023 Bürgergeld) und die Erstattung von insgesamt 58.524,19 € für die Zeit von Februar 2008 bis Januar 2016 wegen des Bezugs einer Altersrente (AR) vom Rentenfonds der Russischen Föderation.
Die 1953 in O/Russland geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie siedelte im Jahr 2001 von Russland nach Deutschland über. Der Rentenfonds der Russischen Föderation hatte ihr gemäß den Gesetzen Nr 173-FZ vom 17. Dezember 2001 bzw Nr 400-FZ vom 28. Dezember 2013 Altersarbeitsrente mit Vollendung des 55. Lebensjahres ab Januar 2008 bewilligt, die auf ein Sparkonto der Sbank von Russland (Filiale K) überwiesen wurde (Bescheinigung vom 19. Juli 2016; Höhe der AR Januar 2008 = 2.030,48 Russische Rubel ≪RUB≫, Februar und März 2008 = mtl 2.086,94 RUB, April bis Juli 2008 mtl 2.247,70 RUB; August 2008 bis Februar 2009 = mtl 2.536,72 €, März 2009 = 2.692,72 RUB, April 2009 bis Juli 2009 = mtl 2.822,70 RUB, August 2009 bis November 2009 = mtl 2.888,15 RUB, Dezember 2009 = 3.500,15 RUB, Januar 2010 bis März 2010 = mtl 3.772,20 RUB, April 2010 bis Januar 2011 = mtl 4.009,85 RUB, Februar 2011 bis Januar 2012 = mtl 4.362,72 RUB, Februar und März 2012 = mtl 4.668,11 RUB, April 2012 bis Januar 2013 = mtl 4.827,29 RUB, Februar und März 2013 = mtl 5.145,89 RUB, März 2013 bis Januar 2014 = mtl 5.315,70 RUB, Februar und März 2014 = mtl 5.661,22 RUB, April 2014 bis Dezember 2014 = mtl 5.757,46 RUB, Januar 2015 = 5.782,12 RUB, Februar 2015 bis Januar 2016 = mtl 6.441,34 RUB, Februar 2016 bis Juni 2016 = mtl 6.699,09 RUB). Die auf das Sparkonto überwiesene Rente wurde ausweislich des vorliegenden Sparbuches monatlich mittels einer Bankkarte abgehoben.
Die Klägerin, die seit 1. Februar 2016 auch eine AR aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung erhält, bezog vom Beklagten seit Januar 2005 Alg II, so auch im Streitzeitraum von Februar 2008 bis Januar 2016. In den entsprechenden Fortzahlungsanträgen wie auch im Übrigen gab sie den Bezug der russischen AR nicht an und teilte diesen erst auf Aufforderung des Beklagten im Juni 2016 mit. Im Juli 2016 beantragte sie beim örtlichen Träger der Sozialhilfe, dem Beigeladenen, die Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII). Dieser bewilligte aufstockende SGB XII-Leistungen ab Juli 2016, lehnte aber den Antrag auf Leistungsgewährung für die Zeit vom Februar 2008 bis Juni 2016 ab (Bescheid vom 24. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 2017), woraufhin die Klägerin Klage einreichte ( S 90 SO 226/17 ).
Der Beklagte nahm in der Folge die Leistungsbewilligungen von Februar 2008 bis Januar 2016 zurück und forderte die Erstattung der erbrachten Leistungen iHv insgesamt 58.524,19 € (Bescheide vom 13. Oktober 2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 3. November 2016). Die Klägerin sei wegen des Bezugs der russischen AR von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen gewesen. Die fehlerhafte Bewilligung sei erfolgt, weil sie zumindest grob fahrlässig falsche und unvollständige Angaben gemacht bzw den Bezug der russischen AR nicht mitgeteilt habe.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat nach Verbindung des Verfahrens gegen den Beigeladenen (Beklagter zu 2. des erstinstanzlichen Verfahrens) zum Verfahren gegen den Beklagten die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide aufgehoben, soweit „die Klägerin in der Zeit von Februar 2008 bis Januar 2016 gegen den Beklagten zu 2. ein (sic!) Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII hat“, und die Klagen im Übrigen abgewiesen. Der Aufhebung und Erstattung gegenüber der Klägerin stehe entgegen, dass der Beklagte einen entsprechenden Erstattungsanspruch gegenüber dem Beigeladenen nach § 105 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) habe.§ 105 Abs. 3 SGB X stehe dem nicht entgegen, weil auch im Erstattungsstreit die Kenntnis des Sozialhilfeträgers über§ 18 Abs. 2 Satz 2 SGB XII fingiert werde. Der Beigeladene habe demgegenüber eine eigene Leistungsverpflichtung im Ergebnis zu Recht abgelehnt (Urteil vom 31. August 2021).
Mit ihren Berufungen haben sich sowohl der Beklagte als auch der Beigeladene und die Klägerin gegen das SG-Urteil gewandt. Der Senat hat die Verbindung des Verfahrens gegen den Sozialhilfeträger mit dem Verfahren gegen den Beklagten mit Beschluss vom 28. Febr...