Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung. Ausgleich einer Behinderung. Versorgung mit einem Sportrollstuhl zur Teilnahme am Vereinssport. Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Grundbedürfnis. Integration in den Kreis Gleichaltriger. Berechtigter Wunsch des behinderten Menschen
Leitsatz (amtlich)
Ein Sportrollstuhl kann ein im Rahmen der Eingliederungshilfe zur Verfügung zu stellendes Hilfsmittel sein.
Orientierungssatz
1. Ein Hilfsmittel dient nur dann der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung iS des § 33 Abs 1 S 1 SGB 5, wenn es unter ärztlicher Verantwortung eingesetzt und verwendet wird (vgl BSG vom 18.5.2011 - B 3 KR 10/10 R = SozR 4-2500 § 33 Nr 35, RdNr 11). Das ist bei einem Sportrollstuhl, der ausdrücklich der Teilnahme am Vereinssport dienen soll, nicht der Fall.
2. Hilfsmittel, die lediglich auf einen mittelbaren Ausgleich von Behinderungen zielen, sind nur zu gewähren, soweit sie der Befriedigung sog Grundbedürfnisse dienen (vgl BSG vom 18.5.2011 - B 3 KR 10/10 R aaO, RdNr 14). Das ist bei einem Sportrollstuhl nicht der Fall, weil er nicht zur Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums nötig ist.
Normenkette
SGB V § 33 Abs. 1 S. 1; SGB XII § 53 Abs. 1, 3, § 54 Abs. 1; SGB IX § 14 Abs. 2 S. 1, § 55 Abs. 1, 2 Nr. 1
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgericht Frankfurt (Oder) vom 7. Februar 2012 und der Bescheid der Beklagten vom 21. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2008 geändert, Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger mit einem Sportrollstuhl zu versorgen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Versorgung des Klägers mit einem Sportrollstuhl.
Der im Februar 1991 geborene Kläger ist bei der Beklagten versichert. Er leidet an infantiler Zerebralparese mit bein- und rechtsbetonter Tetraspastik, schwerer Hüftdysplasie links, Epilepsie und geistiger Behinderung. Er bezieht Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe III und ist anerkannter Schwerbehinderter mit einem GdB von 100. Er arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen und bezieht Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII. Seine Mutter ist als seine Betreuerin bestellt. Der Beigeladene gewährt ihm ein persönliches Budget für Einzelfallhilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in Höhe von monatlich 995,90 €.
Die Kinderärztin Dr. P verordnete dem Kläger am 13. Oktober 2006 einen Sportrollstuhl mit individueller Sitzanpassung. Das “reha-team-berolina„ legte der Beklagten einen Kostenvoranschlag über 4.288,79 € vor. Zur Begründung des Antrags verwies sie darauf, dass der Kläger regelmäßig Behindertensport treibe und sich insbesondere für Basketball begeistere. Er sei in das “A Basketball Team e.V.„ eingetreten und bislang darauf angewiesen, mit seinem Aktivrollstuhl am Training teilzunehmen oder sich einen Sportrollstuhl zu borgen. Der vorhandene Aktivrollstuhl biete nicht genügend Sicherheit für die Teilnahme am Sport.
Durch Schreiben vom 21. November 2006 lehnte die Beklagte den Antrag auf Versorgung gegenüber der Mutter des Klägers ab. Der Sportrollstuhl sei derzeit nicht als Hilfsmittel in der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen. Die sogenannten schnellen Sportarten wie Hockey und Basketball fielen nicht in den Bereich des Rehasports, sondern seien der eigenen Freizeitgestaltung zuzuordnen. Auch die dafür notwendigen Hilfsmittel fielen nicht in den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Gegebenenfalls sei eine Kostenübernahme durch andere Sozialleistungsträger zu prüfen.
Die Mutter des Klägers erhob Widerspruch. Sie verwies darauf, dass es sich nicht um einen für eine spezielle Sportart konstruierten Rollstuhl handele. Es sei für den Kläger zur Vorbeugung vor weiteren Erkrankungen sehr wichtig, Aktivitäten auszuüben, mit denen er seine körperlichen Defizite korrigieren könne. Die Ausübung von Ballsport wirke den Beugekontrakturen der Arme, der noch nicht manifestierten Kyphose und einer vorzeitigen Herzkreislauf-Dekompensation entgegen. Die Lungenfunktion und das Selbstbewusstsein würden gestärkt. Ein alltagstauglicher Aktivrollstuhl sei sportlichen Aktivitäten nicht gewachsen.
Die Beklagte befragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Dieser befand in seinem Gutachten vom 18. April 2007, dass sich aus dem vorhandenen Pflegegutachten und der vorliegenden Reha-Epikrise ergebe, dass der Kläger sich nur sehr mühevoll und nur über kurze Strecken mit dem Aktivrollstuhl fortbewegen könne. Es könne von daher nicht für medizinisch sinnvoll gehalten werden, ihm einen Sportrollstuhl zur Verfügung zu stellen. Daraufhin informierte die Beklagte die Mutter des Klägers, dass auch nach Beratung mit dem MDK nicht die Möglichkeit bestehe, den Sportrollstuhl zu genehmigen. Der Kläger entgegnete, dass er aktiver Rollstuhlfahre...