Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung des Arbeitslosengeldes. Bemessungsentgelt. Arbeitslosengeldvorbezug aufgrund Teilzeitbeschäftigung. Verminderung des fiktiven Bemessungsentgelts. Bestandsschutzklausel. Vergleichsberechnung
Leitsatz (amtlich)
Bei einem Vorbezug von Arbeitslosengeld aufgrund Teilzeitbeschäftigung und anschließender fiktiver Bemessung ist - in Fällen, in denen sich der Arbeitslose mit derselben Anzahl an Stunden zur Verfügung stellt, die er vorher Teilzeit gearbeitet hat - zunächst die Minderungsregelung des § 151 Abs 5 SGB III anzuwenden und erst danach die Vergleichsberechnung nach § 151 Abs 4 SGB III durchzuführen.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. Oktober 2020 und der Bescheid der Beklagten vom 12. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2019 geändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 16. Juli 2019 bis 7. Oktober 2019 Arbeitslosengeld nach einem unverminderten Bemessungsentgelt von 82,20 Euro zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 16. Juli 2019 bis 7. Oktober 2019.
Der 1960 geborene Kläger (verheiratet, kein Kind, Lohnsteuerklasse III) ist gelernter Heilerziehungspfleger und war nach eigenen Angaben seit 2002 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden bei der S Stiftung beschäftigt. Die durchschnittliche wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten betrug 40 Stunden. Der Kläger erzielte in der Zeit vom 1. April 2015 bis 31. März 2016 ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt von 30.084,73 Euro (täglich 82,20 Euro).
Nach einer ersten Kündigung seitens der Arbeitgeberin meldete sich der Kläger zum 5. April 2016, Eingang der Anzeige am 22. Dezember 2015, bei der Beklagten arbeitslos. Er stellte sich uneingeschränkt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Die Beklagte gewährte dem Kläger ab 5. April 2016 Alg mit einem täglichen Leistungssatz von 37,10 Euro für eine Anspruchsdauer von 540 Tagen ausgehend von einem unverminderten Bemessungsentgelt von 82,20 Euro (Bescheid vom 13. April 2016). Der Alg-Bezug endete am 30. Juli 2018.
Mit arbeitsgerichtlichem Vergleich vom 11. November 2016 (Arbeitsgericht Berlin, ) einigten sich der Kläger und die S Stiftung schließlich über ein Ende des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2016. In der Zeit vom 16. Oktober bis 31. Oktober 2017 sowie in der Zeit vom 1. November bis 21. November 2017 übte der Kläger eine versicherungspflichtige Beschäftigung aus. In der Zeit vom 1. August bis 26. November 2018, 6. Dezember bis 31. Dezember 2018, 1. Januar bis 2. Mai 2019 und 3. Juni bis 14. Juli 2019 bezog er Krankengeld und vom 3. Mai 2019 bis 30. Mai 2019 Übergangsgeld.
Der Kläger meldete sich zum 16. Juli 2019 erneut bei der Beklagten persönlich arbeitslos und stellte sich dem Arbeitsmarkt mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden zur Verfügung. Mit Bescheid vom 12. August 2019 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 16. Juli 2019 Alg mit einem täglichen Leistungsbetrag von 30,67 Euro nach einem Bemessungsentgelt von 63,90 Euro. Dabei ging sie von einem (ungeminderten) fiktiven Bemessungsentgelt auf der Grundlage von Qualifikationsstufe 3 in Höhe von 83,07 Euro aus. Das Bemessungsentgelt vermindere sich entsprechend dem Verhältnis der dem Kläger aktuell möglichen Wochenstunden (30,00 Stunden) zu den früher geleisteten Stunden (39,00).
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Eine Verminderung der Vermittlungsfähigkeit sei nicht gegeben. Er habe bei seiner Arbeitgeberin, der S Stiftung, für die er im relevanten Zeitraum, aber auch die ganzen Jahre zuvor, tätig gewesen sei, nie eine andere Arbeitszeitregelung als über 30 Stunden in der Woche getroffen gehabt. Er stehe daher dem Arbeitsmarkt uneingeschränkt, wie im Bemessungszeitraum ausgewiesen, zur Verfügung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. August 2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 12. September 2019 Klage erhoben. Er habe wegen § 151 Abs. 4 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) Anspruch auf höheres Alg nach einem unverminderten Bemessungsentgelt von 83,07 Euro, hilfsweise von 82,20 Euro.
Am 8. Oktober 2019 hat der Kläger seine Arbeitszeiteinschränkung zurückgenommen. Mit Bescheid vom 27. Januar 2020 hat die Beklagte daraufhin dem Kläger ab 8. Oktober 2019 Alg nach einem unverminderten fiktiven Bemessungsentgelt von 83,07 Euro unter Zugrundelegung von Qualifikationsstufe 3 bewilligt.
Mit Urteil vom 2. Oktober 2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Ein Anspruch auf Alg nach einem höheren Bemessungsentgelt als bereits zuerkannt bestehe nicht. Maßstab für den Günstigkeitsvergleich nach § 151 Abs. 4 SGB III seien die jeweiligen, an der vollen Verfügbarkeit bemessenen Entgelte. Danach sei das fiktive...