Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Auslegung eines GdB-Herabsetzungsbescheids. gleichzeitige Feststellung der Erledigung eines Neufeststellungsantrags. Ablehnung der Neufeststellung als eigenständiger Verfügungssatz. sozialgerichtliches Verfahren. statthafte Klageart. Anfechtungsklage sowie Anfechtungs- und Verpflichtungsklage als Haupt- und Hilfsantrag. Zweifel an der Möglichkeit eines Anerkenntnisurteils bei Anfechtungsklagen. maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt bei Anfechtungsklage. GdB-Feststellung. Beginn der Heilungsbewährung ab Zeitpunkt der Tumorentfernung. Einzel-GdB von 40 für psychische Leiden. Einzel-GdB von 20 für Migräne. Gesamt-GdB von 50
Leitsatz (amtlich)
1. Bedenken gegen die Zulässigkeit eines Neufeststellungsantrages während eines GdB-Herabsetzungsverfahrens bestehen nicht. Er kann sogar während des Herabsetzungsverfahrens im Einzelfall auch sinnvoll sein. Denn zum einen hält er die Möglichkeit offen, den GdB über die ursprüngliche Feststellung hinaus geltend zu machen. Er vermeidet andererseits auch die im Rahmen der reinen Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 S 1 Alt 1 SGG notwendige, aber in der Praxis mitunter missliche Einengung der Prüfung der gesundheitlichen Verhältnisse auf einen Zeitraum zwischen Geltung der Herabsenkung des GdB und Erlass des Widerspruchsbescheides. Denn durch die Verknüpfung der reinen Anfechtungs- mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erreicht der Betroffene, dass auch die gesundheitlichen Verhältnisse bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz in den Blick zu nehmen sind.
2. Es ist sogar möglich, während des Herabsetzungsverfahrens einen Antrag auf Feststellung eines GdB zu stellen, der bereits festgestellt war. Allerdings stehen reine Anfechtungs- und kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in diesem Fall in einem Verhältnis eines Haupt- und Hilfsantrages. Denn während der Betroffene sein hauptsächliches Begehren, den Erhalt des GdB ab dem Zeitpunkt der Herabsetzung, bereits mit der reinen Anfechtungsklage zu erreichen vermag, kann die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erst für die Zeit helfen, die von der reinen Anfechtungsklage nicht mehr gedeckt ist, also für die Zeit nach Erlass des Widerspruchsbescheides.
3. Zur Frage, ob ein Anerkenntnisurteil bei der reinen Anfechtungsklage überhaupt möglich ist (hier offengelassen).
4. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines GdB-Herabsetzungsbescheides ist regelmäßig der Zeitraum zwischen Bekanntgabe des Bescheides und des Widerspruchsbescheides.
Orientierungssatz
1. Die Feststellung der Behörde in einem GdB-Herabsetzungsbescheid, dass mit Erteilung des Bescheids zugleich ein zuvor gestellter Neufeststellungsantrag (welcher erst zu den Ermittlungen der Behörde geführt hat) erledigt sei, kann als eigenständiger Verfügungssatz im Hinblick auf die Ablehnung des Neufeststellungsantrags auszulegen sein.
2. Ein GdB-Herabsetzungsbescheid, der lediglich das Datum seines Erlasses nennt, ist regelmäßig dahingehend auszulegen, dass die Absenkung des GdB erst ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe gelten soll (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 13.8.2019 - L 11 SB 156/18).
3. Maßgeblicher Bezugspunkt für den Beginn der Heilungsbewährung ist der Zeitpunkt, an dem die Geschwulst durch Operation oder andere Primärtherapie als beseitigt angesehen werden kann; eine zusätzliche adjuvante Therapie hat keinen Einfluss auf den Beginn der Heilungsbewährung.
4. Im Rahmen der GdB-Gesamtbewertung nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) in der Anlage zu § 2 VersMedV können ein Einzel-GdB von 40 für seelische Leiden (Teil B Nr 3.7 VMG) und ein Einzel-GdB von 20 für eine Migräne (Teil B Nr 3.7 VMG) zu einem GdB von 50 führen.
5. Zum Leitsatz 4 vgl LSG Berlin-Potsdam vom 6.11.2014 - L 11 SB 178/10.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 11. Oktober 2018 geändert und der Bescheid des Beklagten vom 5. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 2014 insoweit aufgehoben, als der Beklagte mit ihm den Grad der Behinderung auf unter 50 festgestellt hat.
Der Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten für den gesamten Rechtsstreit zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.
Bei der 1951 geborenen Klägerin wurde 2008 eine Brustkrebserkrankung rechts festgestellt. Der Tumor wurde im Oktober 2008 entfernt. Anschließend wurde die Klägerin mittels einer antihormonellen Therapie behandelt und bestrahlt. Mit Bescheid vom 3. Februar 2009 stellte der Beklagte zugunsten der Klägerin den GdB mit 60 fest, wobei er die Brustkrebserkrankung mit einem Einzel-GdB von 50 sowie Anpassungsstörungen und psychosomatische Störungen mit einem Einzel-GdB von 20 bewertete bei einem weiteren Einzel-GdB von 10.
Am 24. Mai 2013 ging bei dem Beklagten ein Neufeststellungsantrag der Klägerin ein. Der Beklagte ermi...