Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit wegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen

 

Orientierungssatz

1. Trotz eines noch sechs Stunden täglichen Leistungsvermögens für körperlich leichte Arbeiten besteht ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn bei dem Versicherten eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt und dem Versicherten keine Tätigkeit benannt werden kann, die er trotz seiner qualitativen Leistungseinschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann, vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B 5 RJ 64/02 R.

2. Bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt, sind alle qualitativen Einschränkungen zu berücksichtigen, welche nicht bereits von dem Erfordernis der körperlich leichten Arbeit erfasst werden.

3. Bei insgesamt bestehenden Einschränkungen - nicht festgelegter Arbeitsrhythmus - nicht an laufenden Maschinen - ohne Heben und Tragen von Lasten linksseitig - nicht in Wechselschicht - ohne Arbeiten, die besondere Anforderungen an die Fingergeschicklichkeit stellen - bei beeinträchtigtem Reaktionsvermögen - Gesichtsfeldeinschränkung mit Beeinträchtigung des räumlichen Sehens - sind zahlreiche Arbeitsfelder des allgemeinen Arbeitsmarktes verschlossen bzw. nur schwer zugänglich. Liegt eine solche bzw. vergleichbare Situation vor, so besteht wegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit.

 

Normenkette

SGB VI § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2, Abs. 3, § 240 Abs. 1-2, § 102 Abs. 2 Sätze 1-2, 5; SGG § 128 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 2011 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2010 verurteilt, der Klägerin aufgrund eines am 19. November 2012 eingetretenen Leistungsfalles Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ab dem 01. Juni 2013 bis zum 31. Mai 2016 zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagten trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 01. September 2008.

Die 1958 geborene Klägerin absolvierte vom 01. September 1974 bis zum 31. August 1977 erfolgreich eine Ausbildung zur Zahntechnikerin. In der Folgezeit war sie bis April 1991 in der Betriebspoliklinik der Druckereien und Verlage als Zahntechnikerin beschäftigt. Im Zuge der Umorganisation der Poliklinik beendete die Klägerin ihre Beschäftigung dort und nahm ab dem 01. Mai 1991 eine Arbeit in der häuslichen Krankenpflege auf. Vom 02. Januar 1992 bis zum 31. Januar 1996 war sie als Verwaltungssachbearbeiterin bei der Firma K Zahntechnik beschäftigt. Vom 02. Mai 1996 bis zum 14. Juli 1996 arbeitete sie erneut bei der Firma K Zahntechnik. Nach eigenen Angaben beendete sie das Beschäftigungsverhältnis selbst wegen gesundheitlicher Probleme und einer anderen Tätigkeit in Wohnortnähe. Vom 15. Juli 1996 bis zum 29. Oktober 1996 arbeitete sie als Disponentin im Zahntechnischen Labor Dentallabor C. Das Arbeitsverhältnis wurde durch den Arbeitgeber in der Probezeit ohne Begründung gekündigt. Danach war sie vom 01. April 1997 bis zum 31. Oktober 1997 ebenfalls als Disponentin bei der Firma Dentaltechnik RGmbH beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis wurde aus wegen mangelnden Umsatzes beendet. Vom 01. April 1998 bis zum 30. April 1998 arbeitete sie wieder bei Dentaltechnik R und zwar als Verwaltungsangestellte. Das Arbeitsverhältnis endete in der Probezeit wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten und einer Kur der Klägerin. Vom 02. August 1998 bis zum 31. August 1998 war sie befristet zur Urlaubsvertretung als Verwaltungsangestellte bei Dentaltechnik R beschäftigt, wobei sie vertretungsweise auch zahntechnische Arbeiten ausführen musste. Ab Oktober 2002 nahm sie eine Teilzeittätigkeit auf und führte Büroarbeiten aus. Vom 20. September 2004 bis zum 14. Februar 2005 arbeitete sie bei der Firma F und Ä - Dental - GmbH als Bürokauffrau und vom 01. September 2006 bis zum 28. Februar 2008 als Verwaltungsangestellte bei der Firma Dental-Studio Dr. R & Co. GmbH beschäftigt. Ab dem 26. Juli 2007 bestand Arbeitsunfähigkeit. Im November 2007 trat Insolvenz des Unternehmens ein. Am 22. Februar 2008 wurde sie gekündigt. Die Klägerin hat anschließend keine berufliche Tätigkeit mehr aufgenommen. Sie bezieht Arbeitslosengeld II. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 anerkannt (Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin vom 30. April 2007).

Bereits am 16. Dezember 1996 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Hinblick auf eine Depression, Rheuma, psychosomatischen Beschwerdekomplex, Wirb...

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