Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bildung und Teilhabe. Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Teilnahme an mehrtägiger Fußball-Trainingsfahrt. Vereinsbeiträge. verfassungskonforme Auslegung von § 28 Abs 7 S 2 SGB 2 aF
Leitsatz (amtlich)
Die für eine mehrtägige Trainingsfahrt im Rahmen des Breitensports entstehenden Übernachtungs- und Verpflegungskosten stellen neben den monatlichen Vereinsbeiträgen weitere nach§ 28 Abs 7 S 2 SGB II (in der bis zum 31. Juli 2019 geltenden Fassung vom 7. Mai 2013) berücksichtigungsfähige tatsächliche Aufwendungen dar.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. August 2020 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Konkret begehrt die Klägerin die Erstattung von Kosten für die Teilnahme an einer Vereinsfahrt.
Die 2008 geborene Klägerin lebte zusammen mit ihrer Mutter in einer Bedarfsgemeinschaft. Nach Mitteilung des Rentenversicherungsträgers vom 14. Juni 2018 bezog die Mutter der Klägerin seit dem 01. Oktober 2016 eine bis zum 30. September 2019 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Nach dem Bescheid des Rentenversicherungsträgers vom 14. Juni 2018 beruhte die volle Erwerbsminderung nicht allein auf dem Gesundheitszustand, sondern auch auf den Verhältnissen des allgemeinen Arbeitsmarktes und betrug ab August 2018 netto 903,14 Euro. Für die Klägerin wurde laufend Kindergeld gezahlt. Ergänzend standen beide als Bedarfsgemeinschaft bei dem Beklagten im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zuletzt bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrer Mutter mit Bescheid vom 20. Dezember 2018 und hierzu in der Folge ergangenen Änderungsbescheiden Leistungen für den Zeitraum vom 01. Februar 2019 bis zum 31. Juli 2019.
Die Klägerin spielte Fußball in dem Verein SC ., für den ein monatlicher Beitrag in Höhe von 10 Euro zu entrichten war. Der Beklagte bewilligte ihr auf entsprechenden Antrag vom 28. Dezember 2018 für die dortige Mitgliedschaft mit Bescheid vom 07. Januar 2019 für den Zeitraum vom 01. Februar bis zum 31. Juli 2019 Leistungen für Bildung und Teilhabe in Höhe von 10 Euro pro Monat. Neben dem wöchentlichen Fußballtraining besuchte die Klägerin Musikunterricht im Fach Klavier, für den die Mutter monatlich 19,80 Euro aufgewandt hat. Hierfür gewährte der Beklagte keine Leistungen.
Am 03. Mai 2019 beantragte die Mutter für die Klägerin die Bewilligung von 70 Euro für die Teilnahme an einer Trainingsfahrt des Fußballvereins vom 17. bis zum 19. Mai 2019 in das Landesleistungszentrum . Die Trainingsfahrt wurde für alle Spielerinnen der Trainingsgruppe angeboten, eine besondere Leistungsauswahl gab es nicht. Mit Bescheid vom 13. Mai 2019 lehnte der Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, es handele sich nicht um eine Leistung nach dem SGB II. Die Klägerin nahm mit 11 anderen Kindern und 3 Betreuern an der Trainingsfahrt teil. Die Klägerin bzw. deren Mutter übernahmen die hierfür entstandenen Kosten in Höhe von 70 Euro. Der Betrag setzte sich aus Kosten für die Unterbringung und die Verpflegung abzüglich von Ermäßigungsleistungen des Vereins zusammen. Die Summe der für die Klägerin aufgewandten Kosten hätte ohne Ermäßigung 96 Euro betragen (2x Übernachtung für je 24 Euro, 2x Frühstück für je 8 Euro, 2x Abendessen für je 10 Euro und 1x Mittagessen für 12 Euro). Den gegen die Ablehnungsentscheidung erhobenen Widerspruch vom 01. Juni 2019 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2019 zurück. Zur Begründung verwies er auf die Regelung in§ 28 Abs. 7 Nr. 1 SGB II , wonach höhere Leistungen als 10 Euro pro Monat für Bedarfe zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft nicht gewährt werden könnten. Dieser gesetzlich vorgesehene Rahmen sei bereits durch die monatlichen Leistungen für die Beiträge für den Fußballverein ausgeschöpft.
Mit ihrer am 06. August 2019 vor dem Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Übernahme von Teilnahmekosten sei in§ 28 Abs. 7 SGB II abschließend geregelt.§ 28 Abs. 7 Satz 2 SGB II ermögliche vorliegend keine weitere Leistungserbringung, da die Teilnahme an der Vereinsfahrt die vom Gesetz erfasste Aktivität - nämlich das Training im Sportverein - selbst darstelle und nicht - wie Satz 2 es nach der Gesetzesbegründung vorsehe - zur Ermöglichung der Aktivität erforderlich sei. Ein Zusammenhang mit dem wöchentlichen Fußballtraining, wie er beispielsweise bei der Beschaffung von Trainingsausrüstung bestehe, fehle bei der Teilnahme an einer Trainingsfahrt.
Mit Urteil vom 21. August 2020 hat das SG den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 13. Mai 2019 in d...