Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergleichsschluss der Einzugsstelle über im Rahmen der Geschäftsführerhaftung nach § 823 Abs 2 BGB iVm § 266a StGB geschuldete Arbeitnehmeranteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag ohne Zustimmung des Rentenversicherungsträgers. Pflichtverletzung. Haftung. Schadensersatzanspruch des Rentenversicherungsträgers nach § 28r SGB 4
Orientierungssatz
Schließt die Einzugsstelle mit dem aus § 823 Abs 2 BGB iVm § 266a StGB haftenden Geschäftsführer eines Arbeitgebers, der Gesamtsozialversicherungsbeiträge nicht entrichtet hat, einen Vergleich, ohne zuvor Einvernehmen mit dem Rentenversicherungsträger hergestellt zu haben, so ist die alleinige Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch des Rentenversicherungsträgers § 28r SGB 4, denn dieser regelt abschließend die Haftung der Einzugsstelle für ihre Pflichten, welche sich aus dem besonderen Verhältnis zwischen der Einzugsstelle und den Fremdversicherungsträgern ergeben und in den §§ 28a ff SGB 4 niedergelegt sind. Eines Rückgriffs auf die allgemeinen Haftungsnormen des BGB und den Rechtsgedanken des Auftragsrechts bedarf es nicht.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. Oktober 2015 wird dieses neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.926,58 Euro zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Berufung gegen dieses Urteil wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadenersatz in Höhe von 9.926,58 Euro aufgrund eines ohne Einvernehmen der Klägerin von der Beklagten abgeschlossenen Vergleiches.
Die Beklagte ist die zuständige Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, den die M GmbH für diverse Arbeitnehmer zu entrichten hatte. Im Zuge von Zahlungsschwierigkeiten entrichtete die M GmbH in der Zeit von Januar 1997 bis Oktober 1997 fällige Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 309.241,16 DM an die Beklagte nicht. Mit Beschluss vom 19. Oktober 2018 eröffnete das Amtsgericht Stendal das Gesamtvollstreckungsverfahren gegenüber der M GmbH. Im Jahr 2000 schlug die Beklagte den Großteil der Forderung wegen Erfolglosigkeit der Einziehung befristet nieder.
Im Juli 2001 erhob die Beklagte gegen den Geschäftsführer der M GmbH, dem am 7. April 1962 geborenen Herrn M (nachfolgend Schuldner), Schadensersatzklage gemäß § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. § 266a Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) wegen nicht erfolgter Weiterleitung der Arbeitnehmeranteile zum Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die Zeit von Februar 1997 bis August 1997. Mit Versäumnisurteil vom 23. Januar 2002 verurteilte das Landgericht Stendal den Schuldner zur Zahlung von 88.561,18 DM zzgl. 4 % Zinsen seit dem 24. Februar 2000 an die Beklagte.
Am 10. Dezember 2004 bat die Beklagte die damals zuständige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte aufgrund der titulierten Forderung im Wege der Amtshilfe um Verrechnung der Ansprüche nach § 52 i.V.m. § 51 Sozialgesetzbuch/ Erstes Buch (SGB I) mit Leistungsansprüchen des Schuldners.
Dies merkte die Klägerin für den Fall eines späteren Leistungsbezuges entsprechend vor.
Nachdem durch Beschluss des Amtsgerichtes Celle vom 15. Dezember 2005 das Privatinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet worden war, meldete die Beklagte die Grundforderung gemäß dem Versäumnisurteil vom 23. Januar 2002 i.H.v. 45.280,62 Euro zuzüglich Zinsen i.H.v. 11.285,06 Euro sowie Verfahrenskosten gemäß Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27. Februar 2002 i.H.v. 2.985,93 Euro, mithin eine Gesamtforderung von 59.551,61 Euro zur Insolvenztabelle mit dem Hinweis an, dass diese nach § 302 InsO von der Restschuldbefreiung ausgenommen sei, da sie auf einer unerlaubten Handlung beruhe. Hinsichtlich der rückständigen Beiträge entfielen 21.574,17 Euro und hinsichtlich der Zinsen 5.441,49 Euro auf die Träger der Rentenversicherung. Im Zuge eines hiergegen vom Schuldner angebrachten Widerrufs und eines daraufhin eingeleiteten Gerichtsverfahrens kam es nach Rücknahme des Verfahrens am 11. Dezember 2007 zu einem Kostenfestsetzungsbeschluss des OLG Naumburg, wonach der Schuldner an die Beklagte einen weiteren Betrag i.H.v. 5.460,84 Euro zu zahlen hatte.
Nachdem 2008 das Gesamtvollstreckungsverfahren gegen die M GmbH mangels Masse eingestellt und dem Schuldner im Dezember 2011 im Zuge seines Privatinsolvenzverfahrens die Restschuldbefreiung erteilt worden war, machte die Beklagte am 22. Februar 2012 gegenüber dem Schuldner eine Gesamtforderung i.H.v. 59.551,61 Euro geltend.
Daraufhin unterbreitete der Bevollmächtigte des Schuldners der Beklagten mit Schreiben vom 20. April 2012 unter Vorlage der Gehaltsbescheinigung des Klägers für den Monat Januar 2012 den Vorschlag, dass der Schuldner zur Abgeltung der Gesamtforderung an die Bekla...