Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. Neufestsetzung eines Festbetrages durch den GKV-Spitzenverband (hier: Festbetragsgruppe "Levothyroxin-Natrium"). Zulässigkeit der Anfechtungsklage. Rechtsschutzbedürfnis des pharmazeutischen Unternehmens. Rechtmäßigkeit der Prognoseentscheidung. Zeitablauf von mehreren Monaten zwischen dem Bewertungsstichtag und ihrem Wirksamwerden. zu beobachtende Marktentwicklung. Lieferschwierigkeiten
Orientierungssatz
1. Für die Klage eines pharmazeutischen Unternehmens gegen eine vom GKV-Spitzenverband erfolgte Neufestsetzung eines Festbetrages ist eine Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 S 1 Alt 1 SGG die richtige Klageart. Dem pharmazeutischen Unternehmen fehlt im Hinblick auf die Grundrechte aus Art 3 Abs 1 und 12 GG nicht die nach § 54 Abs 1 S 2 SGG erforderliche Beschwer.
2. Die mit Beschluss vom 3.2.2014 nach § 35 Abs 5 SGB 5 erfolgte Neufestsetzung eines Festbetrages für die Festbetragsgruppe "Levothyroxin-Natrium" durch den GKV-Spitzenverband ist rechtmäßig.
3. Allein wegen eines zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablaufs von mehreren Monaten zwischen dem Bewertungsstichtag und ihrem Wirksamwerden ist die Festbetragsanpassung deswegen nicht rechtswidrig.
4. Die Rechtmäßigkeit ist dadurch bestimmt, dass das Gesetz die in der Vergangenheit zu beobachten gewesenen Marktentwicklungen grundsätzlich als ausreichende Grundlage für die zukunftsgerichtete Aktualisierung des Festbetrages ansieht (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 8.4.2016 - L 1 KR 476/12 KL, RdNr 33ff). Zu weitgehend wäre es aber, daraus den Schluss abzuleiten, dass es für die Anpassung des Festbetrages nur auf die Vergangenheit ankommt und aktuell zu besorgende Entwicklungen keine Rolle spielen können.
5. Für die Rechtmäßigkeit der Prognoseentscheidung kommt es auf die im Zeitpunkt der Entscheidung zu berücksichtigenden Gegebenheiten an, nicht auf eine später eingetretene tatsächliche Entwicklung. Eine von der Prognose erheblich abweichende spätere tatsächliche Entwicklung mag zur Korrektur der Entscheidung verpflichten, macht die zunächst gefundene Einschätzung aber nicht von Anfang an rechtswidrig.
6. Eine Beeinträchtigung der Verfügbarkeit eines bestimmten Fertigarzneimittels bedeutet nicht zwangsläufig einen Versorgungsengpass. Letzteres kann nur dann eintreten, wenn keine Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen.
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Beschluss des Beklagten, mit welchem der Festbetrag für die Festbetragsgruppe “Levothyroxin-Natrium„ abgesenkt worden ist.
Die Klägerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen. Sie ist Inhaberin der arzneimittelrechtlichen Zulassungen für die Präparatreihe L-Thyroxin Henning, mit der in verschiedenen Packungsgrößen und verschiedenen Stärken Levothyroxin -haltige Fertigarzneimittel in den Verkehr gebracht werden.
Levothyroxin gehört zu der Gruppe der Schilddrüsenhormone. Hauptanwendungsgebiet der Arzneimittel ist die Behandlung der Struma (Kropf) und der Hypothyreose, also einer mangelnden Versorgung des Körpers mit den Schilddrüsenhormonen Trijodthyronin und Thyroxin.
Schilddrüsenpräparate gehören zu denen, bei denen Ärzte häufig eine Substitution durch den Apotheker ausschließen.
Laut Arzneimittelverordnungsreport 2013 wurden im Jahre 2012 insgesamt 1.103,9 Millionen Tagesdosen an Levothyroxin-haltigen Arzneimitteln verordnet. Die Verordnungszahl stieg 2013 auf 1.157,5 Millionen Tagesdosen an (Arzneiverordnungsreport 2014).
Die genannten Arzneimittel der Klägerin unterfallen der Festbetragsgruppe “Levothyroxin-Natrium„, die seit 1990 existiert (Festbetragsgruppe nach § 35 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB V, sogenannte Stufe 1).
Zuletzt hatte der Beklagte den Festbetrag mit Beschluss vom 6. Februar 2012 mit Wirkung zum 1. April 2012 angepasst.
Im Rahmen seines gesetzlichen Auftrages nach § 35 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) den Festbetragsmarkt regelmäßig zu überprüfen, verglich der Beklagte die Absatzzahlen der Jahre 2010 bis 2012. Er gelangte zu der Erkenntnis, dass in der Festbetragsgruppe sowohl eine Zunahme der Umsätze als auch der Verordnungszahlen erfolgt war.
Diese von ihm festgestellte Marktdynamik nahm er zum Anlass, die Versorgungssituation der Versicherten unter Zugrundelegung verschiedener Abgabepreise zu simulieren (vergleiche Anlage 4 Klageschrift). Bei Zugrundelegung eines Festbetrages von 3,35 € für die angenommene Standardpackung errechnete der Beklagte, dass 23,53 % der Packungen und 22,06 % der Verordnungen zum Festbetrag verfügbar seien und damit die gesetzlich vorgegebenen Maßzahlen nach § 35 Abs. 5 Satz 5 SGB V als Grenzwerte nicht unterschritten würden.
Mit Schreiben vom 2. Dezember 2013 unterrichtete er die sachzuständigen Vereinigungen, Kommissionen und Verbände von diesem Erg...