Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des gehbehinderten Versicherten auf Versorgung mit einem elektrischen Fußhebersystem durch die Krankenkasse

 

Orientierungssatz

1. Die Krankenkasse schuldet bei der Versorgung des Versicherten mit Hilfsmitteln im Rahmen des unmittelbaren Behinderungsausgleichs einen möglichst vollständigen Ausgleich der Behinderung. Deshalb ist bei der Versorgung mit einer Prothese grundsätzlich jede Innovation, die dem Versicherten in seinem Alltagsleben deutliche Gebrauchsvorteile bietet, vom Versorgungsauftrag umfasst (BSG Urteil vom 24. 1. 2013, B 3 KR 5/12 R).

2. Die herkömmlichen Peroneus-Orthesen ermöglichen nur ein sicheres Gehen durch Verhinderung eines Absinkens des Vorfußes in der Spielbeinphase. Sie haben den Nachteil, dass keine aktive Muskelkontraktion im Wadenbereich erfolgt und ein aktives Anheben der Fußspitze, wie erforderlich, nicht erfolgt.

3. Ein Versicherter mit inkompletter Querschnittslähmung und erheblich eingeschränkter Geh- und Stehfähigkeit hat Anspruch auf Versorgung mit einem elektrischen Fußhebersystem NessL300Plus.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Versorgung mit einem so genannten Fußhebersystem.

Die 1944 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet u. a. an einer inkompletten Querschnittslähmung. Die Geh- und Stehfähigkeit ist erheblich eingeschränkt.

Am 6. Mai 2014 verordnete ihr die neurologische Rehabilitationsklinik der Kliniken B GmbH in Bein Fußhebersystem „nessL300Plus-System“.

Die Sanitätshaus K GmbH reichte am 28. Mai 2014 einen entsprechenden Kostenvoranschlag über ein solches System einschließlich 2x10 Elektroden über eine Gesamtsumme von 9.464,26 € ein.

Bei dem nessL300-Gerät handelt es sich um einen Fußschrittmacher, der aus drei Hauptelementen besteht, einer Beinmanschette, einem Gangsensor und einer Fernbedienung. Die Beinmanschette gibt elektrische Impulse an die Wadenmuskulatur ab. Sie wird mit einem Klettverschluss unmittelbar an der Wade angebracht. Durch den an der Ferse angebrachten Sensor erkennt das Gerät die Schrittphase und bringt die Wade zur Kontraktion bzw. Relaxation. Die Fußspitze wird angehoben und wieder gesenkt. Dies ermögliche ein Gehen ohne die bisherige durch die abgesenkte Fußspitze bestehende Sturzgefahr.

Das L300Plus-System enthält zusätzlich eine Oberschenkelmanschette, welche die relevanten Nerven und Muskeln des Oberschenkels für eine bessere Kniekontrolle und zusätzliche Stabilität stimuliert und eine Verbesserung der Knieflexion mit sich bringt.

Die Beklagte lehnte eine Kostenübernahme für das Fußhebersystem mit Bescheid vom 11. Juni 2014 ab. Zur Begründung führte sie u. a. aus, der Gebrauch einer Peroneus-Schiene sei indiziert und wirtschaftlich.

Die Klägerin erhob Widerspruch und reichte eine Stellungnahme der neurologischen Rehabilitationsklinik B vom 20. Juni 2014 ein. Das begehrte System sei bei der Klägerin getestet worden und mit seiner Hilfe sei eine deutliche Verbesserung der Gehfähigkeit erreicht worden. Durch die Anwendung des nessL300Plus werde eine Gehfähigkeit am Rollator sowie ein Erhalt der aktiven und passiven Sprunggelenkbeweglichkeit bewirkt. Es seien positive Auswirkungen auf die Mobilität und Partizipation am gesellschaftlichen Leben zu erwarten.

Im Auftrag der Beklagten kam der medizinische Dienst der Krankenkassen Berlin-Brandenburg e.V. (MDK) in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 11. August 2014 zu dem Ergebnis, dass ein notwendiger überlegener therapeutischer Nutzen einer elektrischen Peroneus-Nervstimulation im Vergleich zu biomechanischen Peroneus-Prothesen für die funktionelle Kompensation einer Fußheberparese bislang nicht belegt sei. Auch als Hilfsmittel zum Ausgleich einer Behinderung zeige die vorgelegte Videoaufzeichnung keinen überzeugenden alltagsrelevanten funktionellen Zugewinn gegenüber einem Gehen ohne Versorgung. Knie- und Hüftinstabilität erschienen nahezu unverändert, die Fußhebung allenfalls leicht verbessert. Ein Vergleich mit einer Orthese oder einem Therapieschuh sei nicht vorgelegt worden.

Die Beklagte wies den Widerspruch daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 2015 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 24. Februar 2015 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Das begehrte Hilfsmittel ermögliche der Klägerin ein sicheres und einfacheres Gehen auf ebenem wie unebenem Untergrund sowie ein Treppensteigen. Es werde in erster Linie als Mobilitätshilfsmittel begehrt. Therapeutische Vorteile wären nur Nebeneffekte.

Eine Peroneus-Schiene bewirke lediglich, dass sich die Fußspitze nicht absenke. Das zum normalen Gehen notwendige Anheben der Fußspitze könne mit ihr nicht erreicht werden.

Die Beklagte hat vorgebracht, bei der Versorgung mit dem streitgegenständlichen Fußhebersystem handele es sich um eine neue Behandlungsmethode, für welche der gemeinsame Bundesausschuss (G...

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