Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht: Voraussetzung der Zuerkennung des Merkzeichens “RF„. Bildung eines Grades der Behinderung von 100 als hinreichendes Kriterium für die Zuerkennung des Merkzeichens “RF„

 

Orientierungssatz

1. Allein die Zuerkennung eines Gesamt-GdB von 100 rechtfertigt für sich genommen noch nicht die Zuerkennung des Merkzeichens “RF„. Vielmehr muss für die Zuerkennung dieses Merkzeichens eine tatsächliche ständige und generelle Hinderung an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen aufgrund gegebener Behinderungen bestehen, vgl. BSG, Urteil vom 16. Februar 2012 - B 9 SB 2/11 R.

2. Einzelfall zur Beurteilung der Voraussetzung für die Zuerkennung des Merkzeichens “RF„ zugunsten eines Schwerbehinderten.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2012 wird zurückgewiesen, soweit der Rechtsstreit nicht abgetrennt ist.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Mit seiner Berufung begehrt der Kläger die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Erteilung des Merkzeichens “RF„.

Für den 1949 geborenen Kläger wurde vom Beklagten zuletzt im Jahr 2001 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 bestandskräftig anerkannt. Dem lagen folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

Genussmittelmissbrauch, neurotische Fehlhaltung

(Einzel-GdB 50)

Herzleistungsminderung, Aortenklappenersatz, Bluthochdruck

(Einzel-GdB 30)

Folgen eines rechtsseitigen Knöchelbruchs,

beginnender Gelenkverschleiß

(Einzel-GdB 30)

Chronische Nasennebenhöhlenentzündung

(Einzel-GdB 10)

Am 20. Februar 2009 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Neufeststellung seines GdB sowie die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen “B„, “G„ und “RF„. Der Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 1. Oktober 2009 mit der Begründung ab, nach dem Ergebnis der ärztlichen Stellungnahme und anhand der beigezogenen ärztlichen Unterlagen habe eine Verschlimmerung des bestehenden Leidenszustandes nicht festgestellt werden können, auch wenn eine Funktionsbehinderung des Kniegelenkes links und eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule - bewertet jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 - hinzugetreten seien. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 27. Oktober 2009 Widerspruch ein, mit dem er weitere Gesundheitsstörungen berücksichtigt wissen wollte. Insbesondere habe er einen Sprachfehler, mit dem er sich in der Öffentlichkeit lächerlich mache, leide an schmerzhaftem Rheuma sowie einer Adipositas und bekomme Schwindelanfälle beim Husten, Bücken oder Lachen, die fast bis zur Bewusstlosigkeit reichten. Daraufhin holte der Beklagte ein Gutachten bei dem Allgemeinmediziner Dr. H ein, der in seinem Gutachten vom 8. März 2010 bei dem Kläger ein flüssiges Gangbild ohne Hilfsmittel beschreibt und für die Funktionsbeeinträchtigung “Genussmittelgebrauch, neurotische Fehlhaltung„ aufgrund einer unauffälligen Psyche nur noch einen Einzel-GdB von 30 vorschlägt, woraufhin der Beklagte nach entsprechender Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 2. August 2010, den er zum Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens erklärte, den GdB des Klägers auf 50 festsetzte, weil eine Besserung der Funktionsbeeinträchtigungen eingetreten sei.

Daraufhin hat der Kläger am 9. August 2010 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er sich gegen die Absenkung des GdB wandte und die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens “G„ begehrte. Zur Begründung trug er vor, der Beklagte habe seinen sich ständig verschlechternden Gesundheitszustand nicht zutreffend gewürdigt und unter anderem eine im April 2010 diagnostizierte Darmkrebserkrankung völlig außer Acht gelassen. Wenn er im Bus einen Fahrschein kaufe, werde er wegen seines Stotterns belächelt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. September 2010 gab der Beklagte dem Widerspruch des Klägers insoweit statt, als er feststellte, dass dessen GdB bis März 2010 wieder 60 betrage und ab April 2010 90. Im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Seinen Feststellungen legte der Beklagte folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

Genussmittelmissbrauch, neurotische Fehlhaltung

(Einzel-GdB 50)

Dickdarmerkrankung in Heilungsbewährung

(Einzel-GdB 50)

Herzleistungsminderung, Aortenklappenersatz, Bluthochdruck

(Einzel-GdB 30)

Folgen eines rechtsseitigen Knöchelbruchs,

beginnender Gelenkverschleiß

(Einzel-GdB 30)

Chronische Entzündung der Bauchspeicheldrüse

(Einzel-GdB 20)

Chronische Nasennebenhöhlenentzündung

(Einzel-GdB 20)

Funktionsbehinderung des Kniegelenks links

(Einzel-GdB 10)

Funktionsbehinderung der Wirbelsäule

(Einzel-GdB 10)

Weiter führte der Beklagte aus, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens “G„ bzw. weiterer Nachteilsausgleiche nicht vorlägen.

Daraufhin hat der Kläger an das Sozialgericht auf dessen Nachfrage, ob sich die Untätigkeitsklage erledigt habe oder der Rechtsstreit fort...

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