Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Schiedsstelle nach § 130b Abs 5 SGB 5. Ansetzung von Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie. Abweichung von der Angabe im Nutzenbewertungsbeschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses. kombinierte Anfechtungs- und Bescheidungsklage statthaft. Klagebefugnis. pharmazeutischer Unternehmer
Leitsatz (amtlich)
Es ist der Schiedsstelle nach § 130b Abs 5 SGB V nicht verwehrt, die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie abweichend von der Angabe im Nutzenbewertungsbeschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses anzusetzen, wenn diese Jahrestherapiekosten sich in der Zeit nach dem Nutzenbewertungsbeschluss durch Hinzutreten weiterer Arzneimittel mit demselben Wirkstoff geändert haben und die Jahrestherapiekosten des neu hinzugetretenen Arzneimittels zwischen den Beteiligten unstreitig sind; es widerspräche der Grundidee des AMNOG, später hinzutretende generische oder diesem vergleichbare kostengünstigere Arzneimittel mit demselben Wirkstoff nicht in die Preisbildung einzubeziehen.
Orientierungssatz
1. Die Anfechtung eines Schiedsspruchs und Verpflichtung zur Neubescheidung ist als kombinierte Anfechtungs- und Bescheidungsklage statthaft (vgl BSG vom 4.7.2018 - B 3 KR 20/17 R = BSGE 126, 149 = SozR 4-2500 § 130b Nr 1).
2. Ein pharmazeutische Unternehmer ist als Partner einer Erstattungsvereinbarung klagebefugt.
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1.; der Beigeladene zu 2. trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Schiedsspruch der Beklagten, der gemeinsamen Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V).
Die Klägerin brachte als pharmazeutische Unternehmerin am 1. März 2014 das Arzneimittel Tecfidera® (Wirkstoff: Dimethylfumarat, Hartkapseln mit einer Wirkstärke von 120 mg und 240 mg) durch Veröffentlichung in der Lauer-Taxe erstmalig in Deutschland in den Verkehr. Tecfidera® verfügt seit 30. Januar 2014 über eine europaweite arzneimittelrechtliche Zulassung. Zulassungsinhaberin ist die B I Ltd. mit Sitz in England. Inhaberin der alleinigen Vertriebsrechte für Deutschland und nationaler Ansprechpartner ist die Klägerin.
Die arzneimittelrechtliche Zulassung definiert als Anwendungsgebiet von Tecfidera® (vgl. Fachinformation mit Stand November 2017):
„Tecfidera® wird zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmig remittierender Multipler Sklerose angewendet (siehe Abschnitt 5.1 für wichtige Informationen über die Populationen, für die eine Wirksamkeit bestätigt wurde).“
Abschnitt 5.1 der Fachinformation führt über Populationen, für die eine Wirksamkeit bestätigt wurde, aus:
„Wirksamkeit bei Patienten mit hoher Krankheitsaktivität:
In einer Patientensubgruppe mit hoher Krankheitsaktivität wurde ein konstanter Behandlungseinfluss auf Schübe beobachtet, während die Auswirkung auf die Zeit bei 3-monatiger anhaltender Behinderungsprogression nicht eindeutig nachgewiesen wurde. Aufgrund des Studiendesigns wurde eine hohe Krankheitsaktivität definiert als:
- Patienten mit 2 oder mehr Schüben in einem Jahr und mit einer oder mehreren Gd-aufnehmenden Läsionen im MRT des Gehirns (n = 42 bei DEFINE, n = 51 bei CONFIRM), oder
- Patienten, die nicht auf eine vollständige und angemessene Beta-Interferon-Verabreichung ansprachen (mindestens ein Behandlungsjahr) mit mindestens 1 Schub im Vorjahr unter Therapie und mindestens 9 T2-hyperintensen Läsionen im MRT des Gehirns oder mindestens 1 Gd-aufnehmende Läsion, oder Patienten mit einer unveränderten bzw. erhöhten Schubrate im Vorjahr im Vergleich zu den vorhergehenden 2 Jahren (n = 177 bei DEFINE; n = 141 bei CONFIRM).“
Schon vor der Zulassung von Tecfidera® erbat die Klägerin beim Beigeladenen zu 1. (Gemeinsamer Bundesausschuss, GBA) eine Beratung nach § 8 AM-NutzenV u.a. zur Frage der zweckmäßigen Vergleichstherapie. In seiner Sitzung vom 6. November 2012 legte der Unterausschuss Arzneimittel die zweckmäßige Vergleichstherapie fest (Beta-Interferon [1a oder 1b] oder Glatirameracetat). Das Beratungsgespräch fand am 8. November 2012 statt. Die Klägerin wählte für den Nachweis des Zusatznutzens von Dimethylfumarat aus den festgelegten Alternativen den Wirkstoff Beta-Interferon 1a.
Im Rahmen der nach § 35a Abs. 1 SGB V durchzuführenden frühen Nutzenbewertung reichte die Klägerin bei dem Beigeladenen zu 1. am 28. April 2014 ein abschließendes Dossier für den Wirkstoff Dimethylfumarat ein. Unmittelbar danach beauftragte der Beigeladene zu 1. das IQWiG mit der Bewertung dieses Dossiers. Seine Dossierbewertung übermittelte das IQWiG dem Beigeladenen zu 1. am 30. Juli 2014, ergänzt um ein Addendum vom 25. September 2014. Das IQWiG führte u.a. aus, es lägen keine geeigneten Daten zur Bewertung des Zusatznutzens von Dimethylfumarat gegenüber der z...