Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragspsychotherapeutische Versorgung. Zulassungsgremien. Prüfung eines (qualifikationsbezogenen) Sonderbedarfs. Sachverhaltsermittlungen. Ermittlungsansätze. Versorgungsangebot der Verhaltenstherapie
Leitsatz (amtlich)
1. Die Zulassungsgremien dürfen bei der Prüfung eines (qualifikationsbezogenen) Sonderbedarfs Sachverhaltsermittlungen nicht mit dem Hinweis auf den Versorgungsgrad der betroffenen Arztgruppe ablehnen.
2. Zu den möglichen Ermittlungsansätzen, wenn ein qualifikationsbezogener Sonderbedarf geltend gemacht wird.
Orientierungssatz
Ein Schwerpunkt im Sinne von § 24 Buchst b ÄBPl-RL 2007 (juris: ÄBedarfsplRL) bzw eine besondere Qualifikation im Sinne von § 37 Abs 2 BPl-RL 2012 (juris: ÄBedarfsplRL) liegt im Versorgungsangebot der Verhaltenstherapie (vgl BSG Urteil vom 23.6.2010 - B 6 KA 22/09 R = SozR 4-2500 § 101 Nr 8).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. April 2014 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte die Rechtsauffassung des Senats zu berücksichtigen hat.
Die Beigeladene zu 1) trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der übrigen Beigeladenen und des Beklagten, die diese selbst tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Sonderbedarfszulassung.
Der Kläger verfügt seit 2009 über eine Approbation als Psychologischer Psychotherapeut und arbeitet seither freiberuflich in eigener Praxis im B Stadtteil F. Neben privatversicherten Patienten und sog. Selbstzahlern behandelt er dort auch gesetzlich Versicherte im Kostenerstattungsverfahren.
Die zu 1) beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KV) stellte in ihrem “Bedarfsplan 2013 für den Zulassungsbezirk B.„ vom 21. Januar 2013 für die Arztgruppe der Psychotherapeuten einen Versorgungsgrad von 187,4 % fest. Aufgrund dessen stellte der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen B. am 6. Februar 2013 - dieser Beschluss wurde am 4. April 2013 wirksam - u.a. für diese Arztgruppe Überversorgung im Planungsbereich B fest und ordnete Zulassungsbeschränkungen an. Unter dem 9. Oktober 2013 beschloss das gemeinsame Landesgremium nach § 90a Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V), den zwischen der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales B. sowie allen Beigeladenen vereinbarten “Letter of Intent: Versorgungssteuerung auf Ebene der zwölf B. Verwaltungsbezirke im Rahmen der Bedarfsplanung auf Landesebene auf der Grundlage des Bedarfsplans 2013„ zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Nach Anlage 1.1 dieses “Letter of Intent„ betrug der Versorgungsgrad im Planungsbereich B. 194,7 Prozent und im Planungsbereich F.-K. 167,7 Prozent.
Am 9. Mai 2011 beantragte der Kläger eine Sonderbedarfszulassung als Psychologischer Psychotherapeut mit dem Schwerpunkt Verhaltenstherapie bei Erwachsenen “gemäß § 24a und b der Bedarfsplanungsrichtlinien - Ärzte„ (BedaPl-RL), hilfsweise eine Ermächtigung nach § 31 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV). Zur Begründung wies er darauf hin, dass für die Hälfte seiner gesetzlich versicherten Patienten wohnortnah im Teilbezirk F kein Behandler zur Verfügung stehe. 73 Prozent der anderen Hälfte seiner gesetzlich versicherten Patienten bedürften einer sexualtherapeutisch spezialisierten Psychotherapie, z.B. aufgrund einer sexuellen Funktionsstörung, einer Störung der sexuellen Präferenz (z.B. Pädophilie) oder einer Geschlechtsidentitätsstörung. 22 Prozent der Patienten fragten infolge einer onkologischen Erkrankung nach einer psycho-onkologisch spezialisierten Psychotherapie. Dem Antrag beigefügt waren neben weiteren Unterlagen 31 Kostenübernahmeerklärungen gesetzlicher Krankenkassen aus der Zeit seit Dezember 2009 für die psychotherapeutische Behandlung Versicherter - überwiegend in Form von Verhaltenstherapie (Nrn. 35220 bis 35225 des einheitlichen Bewertungsmaßstabs - EBM) - durch den Kläger, zahlreiche erfolglose Therapieanfragen bei Vertragspsychotherapeuten sowie fachärztliche Stellungnahmen zur psychotherapeutischen Versorgung in F bzw. B durch niedergelassene Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie.
Diese Anträge lehnte der Zulassungsausschuss für Ärzte und Psychotherapeuten am 10. August 2011 ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte am 22. Februar 2012 zurück und führte zur Begründung u.a. aus: Ein Defizit im Bereich der vom Kläger durchgeführten verhaltenstherapeutischen Behandlung habe er weder behauptet noch belegt. Einer Ermächtigung nach § 31 Ärzte-ZV stehe entgegen, dass weder eine Unterversorgung bestehe oder drohe, noch ein nach § 100 Abs. 3 SGB V feststellbarer zusätzlicher lokaler Versorgungsbedarf zu decken wäre.
Mit Urteil vom 23. April 2014 hat das Sozialgericht den Beschluss des Beklagten vom 22. Februar 2012 aufgehoben und ihn verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Sonderbedarfszulassung unter Beachtung seiner Rechtsauffassung erneut zu ...