Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Zurückverweisung an das Sozialgericht. wesentlicher Verfahrensmangel. zu späte Urteilsabsetzung. Notwendigkeit einer umfangreichen Beweisaufnahme als weitere kumulative Voraussetzung. Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Wirbelsäulenschaden. Nachrangigkeit von Bilddiagnostik
Orientierungssatz
1. Besteht der wesentliche Verfahrensmangel nach § 159 Abs 1 Nr 2 SGG allein darin, dass das Urteil nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist (vgl GmSOGB vom 27.4.1993 - GmS-OGB 1/92 = BVerwGE 92, 367 = SozR 3-1750 § 551 Nr 4), fehlt es für eine Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht an der weiteren Voraussetzung, dass auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.
2. Gegenüber dem ermittelten funktionellen Zustand, den anamnestischen Erkenntnissen und den eigenen gutachterlichen Untersuchungseindrücken sind im Schwerbehindertenrecht die Ergebnisse von Bilddiagnostiken nachrangig (vgl die Wertung aus Teil B Nr 18.1 VMG, wonach mit bildgebenden Verfahren festgestellte Veränderungen allein noch nicht die Annahme eines GdB rechtfertigen).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 7. August 2017 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten in der Sache über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) und über die Feststellung der gesundheitlichen Merkmale für die Zuerkennung des Merkzeichens G.
Auf den Antrag des 1967 geborenen Klägers vom 9. August 2013 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 7. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Mai 2014 bei ihm für die Behinderung „Funktionsstörung der Wirbelsäule“ einen Gesamt-GdB von 20 fest und lehnte die Zuerkennung des Merkzeichens G ab.
Mit der Klage bei dem Sozialgericht Potsdam hat der Kläger einen GdB von mindestens 50 und das Merkzeichen G begehrt. Hierzu hat er verschiedene medizinische Unterlagen vorgelegt, u.a. in Renten- und Berufskrankheitenverfahren erstattete Sachverständigengutachten. Neben Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte hat das Sozialgericht das Gutachten des Dr. W vom 27. Juni 2016 mit ergänzender Stellungnahme vom 17. März 2017 eingeholt, der als Gesundheitsstörung ein Lendenwirbelsäulensyndrom mit chronifiziertem pseudoradikulären Schmerzsyndrom, Funktions- und Belastungseinschränkungen der Lendenwirbelsäule ohne sichere Hinweise auf radikuläre motorische Defizite im Bereich der unteren Extremitäten mit einem Einzel-GdB von 30 berücksichtigt und den Gesamt-GdB ab Antragstellung mit 30 bewertet hat.
In Ausführung seines von dem Kläger angenommenen Teilanerkenntnisses vom 10. Dezember 2014 hat der Beklagte mit Ausführungsbescheid vom 19. Februar 2015 bei dem Kläger einen Gesamt-GdB von 30 mit Wirkung ab dem 14. Januar 2014 festgestellt. Mit Schriftsatz vom 12. September 2016 hat er erklärt, bei dem Kläger bereits mit Wirkung ab dem 9. August 2013 einen Gesamt-GdB von 30 festzustellen. Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen und den Rechtsstreit im Übrigen fortgeführt.
Das Sozialgericht hat die Klage, soweit sie sich nicht erledigt hatte, mit Urteil vom 7. August 2017 abgewiesen. Zur Begründung hat es, gestützt auf das Gutachten des Dr. W, ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren Gesamt-GdB als 30 und der gesundheitlichen Merkmale für die Zuerkennung des Merkzeichens G. Beglaubigte Abschriften des mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehenen Urteils sind den Beteiligten erst am 6. bzw. am 7. Februar 2018 zugestellt worden.
Mit der am 15. Januar 2018 erhobenen Berufung gegen die sozialgerichtliche Entscheidung begehrt der Kläger mit der Begründung, das Urteil sei verspätet abgefasst worden, die Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht. Hilfsweise verfolgt er sein Begehren in der Sache weiter. Er ist insbesondere der Ansicht, ein Gesamt-GdB von 30 werde seinem Leiden nicht gerecht.
Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers, sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert, hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten der Physiotherapeutin B vom 11. Februar 2019 und des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. H vom 4. März 2019 sowie des Gutachtens des Facharztes für Orthopädie Dr. WR vom 12. Februar 2020 mit ergänzender Stellungnahme vom 27. Mai 2020. Nach ambulanter Untersuchung des Klägers hat der Sachverständige den Gesamt-GdB mit 30 bewertet. Hierzu hat er als GdB-relevante Funktionsbehinderungen eine chronisch degenerative Erkrankung der Lendenwirbelsäule bei Bandscheibendegeneration und rezidivierenden nozisensiblen Reizerscheinungen des rechten Beins...