Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenbehandlung. Geltung einer im Ausland erfolgten Arzneimittelzulassung im Inland nur durch Rechtsverordnung. Voraussetzungen der Leistungspflicht bei nicht zugelassenen Arzneimitteln. Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses bei lebensbedrohlicher Erkrankung
Orientierungssatz
1. Als Zulassung iS des § 21 AMG 1976 gilt die von einem anderen Staat für ein Arzneimittel erteilte Zulassung lediglich, soweit dies durch Rechtsverordnung des zuständigen Bundesministeriums bestimmt wird (vgl BSG vom 18.5.2004 - B 1 KR 21/02 R = SozR 4-2500 § 31 Nr 1) .
2. Voraussetzung für die Leistungspflicht eines nach innerstaatlichem Recht nicht zugelassenen Arzneimittels ist, dass
1. es sich um eine einzigartige Erkrankung handelt, die weltweit nur extrem selten auftritt und die
2. deshalb im nationalen wie im internationalen Rahmen weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden kann,
3. eine notstandsähnliche Situation vorliegt, also eine schwerwiegende lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung behandelt werden soll, für die keine andere Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung steht,
4. zuverlässige pharmakologisch-toxische Daten und aussagekräftige Studien vorliegen müssen, die Unbedenklichkeit und therapeutische Wirksamkeit des Mittels zumindest für anderen Krankheiten belegen, und
5. die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse die Annahme rechtfertigen müssen, dass der voraussichtliche Nutzen des Arzneimittels die möglichen Risiken überwiegen wird, wobei anders als nach den Grundsätzen für einen Off-Label-Use im Urteil des BSG vom 19.3.2002 - B 1 KR 37/00 R = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 bei einer unerforschbaren singulären Erkrankung positive Forschungsergebnisse beziehungsweise einem bestimmten Standard entsprechende wissenschaftliche Fachveröffentlichungen nicht vorzuliegen brauchen (hier: Behandlung einer Kardiomyopathie in Verbindung mit einer Friedreich'schen Ataxie mit dem Arzneimittel Mnesis) (vgl BSG vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R = SozR 4-2500 § 27 Nr 1) .
3. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die Wirtschaftlichkeit einer Leistung mit den Anforderungen des Arzneimittelrechts zu verknüpfen und sie deshalb zu verneinen, weil das Arzneimittel nicht oder noch nicht zugelassen ist (vgl BVerfG, 5.3.1997, 1 BvR 1071/95 = NJW 1997, 3085) .
4. Die vom BVerfG im Beschluß vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = NJW 2006, 891 aufgestellten Grundsätze zur verfassungskonformen Auslegung des Ausschlusses eines gesetzlich Krankenversicherten von neuen Behandlungsmethoden bei einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung gelten auch für den Ausschluss eines nicht zugelassenen Arzneimittels von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung .
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten das Arzneimittel "Mnesis" (Wirkstoff Idebenone).
Die ... 1981 geborene Klägerin, die bei der Beklagten krankenversichert ist, leidet an Friedreichscher Ataxie und im Rahmen dieser Erkrankung unter anderem an Kardiomyopathie.
Am 24. Oktober 2001 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für das Medikament "Mnesis". Sie habe am 02. November 2000 nach Rücksprache mit ihrem behandelnden Arzt Dr. G und unter Verlaufskontrolle durch Dr. K selbständig eine Therapie mit diesem Medikament begonnen, welches in verschiedenen Ländern bei der Behandlung der Kardiomyopathie bei Friedreichscher Ataxie angewandt werde. Die Therapie habe einen objektiv nachweisbaren positiven Effekt bewirkt. Ein Absetzen des Medikaments würde zu einer Verschlechterung führen. Die Klägerin legte die Berichte des Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin Dr. G unter anderem vom 07. Dezember 2001 sowie des Chefarztes der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin - Kinderkardiologie des Klinikums B Dr. K vom 27. Oktober 2000, 01. März 2001 und 20. September 2001, außerdem weitere Unterlagen zu diesem Medikament vor.
Die Beklagte veranlasste die Stellungnahmen beziehungsweise Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) der Ärzte H vom 18. November 2001, Dr. D vom 14. Dezember 2001 und T vom 22. März 2002.
Mit Bescheid vom 15. April 2002 lehnte die Beklagte die Versorgung mit dem Medikament "Mnesis" ab. Dieses Arzneimittel sei in Deutschland nicht zugelassen. In den Ländern Italien und Portugal bestehe eine Zulassung lediglich für die Indikation zerebrale und vaskuläre Degeneration. Ein Wirksamkeitsnachweis liege nicht vor.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) B 1 KR 37/00 R geltend, sie habe einen Anspruch auf dieses Arzneimittel, denn sie leide an einer schweren Krankheit, für die es keine andere Therapie gebe. Es lägen zuverlässige und wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen über die Wirksamkeit vor und es bestehe in Fachkreisen Konsens über die Anwendung von Ideben...