Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilferecht: Gewährung von Asylbewerberleistungen. Voraussetzung der Leistungskürzung bei vermuteter Einreise zur Erlangung von Sozialhilfe. Darlegungs- und Beweislast für das Einreisemotiv eines Ausländers bei geplanter Kürzung von Sozialleistungen

 

Orientierungssatz

1. Für den Umstand, dass die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet lediglich dazu erfolgt, um hier Sozialhilfeleistungen zu erhalten, ist der Sozialhilfeträger darlegungs- und beweispflichtig, wenn er gestützt auf diesen Umstand die Sozialhilfeleistungen kürzen will.

2. Von einer Einreise zur Erlangung von Sozialhilfeleistungen, die eine Leistungskürzung rechtfertigen kann, ist bei einem palästinensischstämmigen Ausländer, der zuvor als Flüchtling im Libanon lebte, jedenfalls dann nicht auszugehen, wenn er zwar mittellos einreiste, bei der Einreise aber hoffte, eine Berufsausbildung absolvieren und sich ein neues Leben aufbauen zu können.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juni 2014 und der Bescheid des Beklagten vom 29. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2011 geändert.

Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 29. November 2010 bis zum 31. Dezember 2010 weitere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe von 7,65 Euro für den Monat November 2010 und von 114,68 Euro für den Monat Dezember 2010 zu gewähren.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung von Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ohne Kürzung ab dem 29. November 2010 bis - nach Teilvergleich nur noch - 31. Dezember 2010, wobei der Beklagte die Kürzung vorgenommen hat, weil er davon ausgeht, dass der Kläger eingereist ist, um Sozialhilfe zu erlangen.

Der in B 1971 geborene, also jetzt 46 Jahre alte Kläger ist Palästinenser, dies wurde von der libanesischen Regierung gegenüber der Ausländerbehörde Berlin bzw. der Deutschen Botschaft in Beirut im Jahr 1997 bestätigt. Auch die Generaldelegation Palästinas in der Bundesrepublik Deutschland bestätigte dies am 24. November 2003. Der Kläger lebte als palästinensischer Flüchtling im Libanon. Er reiste - nach eigener Angabe - am 25. Juli 1996 nach Deutschland ein. Im Fragebogen zum Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung von August 1996 ist zu der Frage (Nr. 24), aus welchen Mitteln der Lebensunterhalt bestritten wird, etwas Unleserliches angegeben, was sich wie “Silsolamt„ oder “Sitsalamt„ liest. Weiter sind die Worte “Kein Geld„ als Antwort auf diese Frage durchgestrichen. Die Frage Nr. 23 bzgl. der beabsichtigten Dauer des Aufenthalts in Deutschland wurde mit “10 - Jara„ oder “Java„ beantwortet. Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vor dem Landessozialgericht vom 11. Oktober 2017 hat der Dolmetscher bestätigt, dass sich in diesem Fragebogen keine Fragen in arabischer Sprache finden.

In dem Antrag auf Sozialhilfe beim Bezirksamt Neukölln vom 4. Dezember 1997 ist angegeben, dass der Kläger als höchsten allgemeinen Abschluss Abitur habe. In einem Erörterungstermin vor dem Landessozialgericht am 11. Oktober 2017 hat er angegeben, dass dies nicht zutreffe und er dies auch nicht geschrieben habe.

Der Kläger bezog zunächst Leistungen nach dem AsylbLG vom Bezirksamt Spandau und wohl ab Dezember 1997 Leistungen vom Bezirksamt Neukölln. Gemäß Bescheid vom 26. Juli 1999 erhielt der Kläger Leistungen nach § 3 Abs. 1 und 2 AsylbLG. Am 1. Januar 2000 ging die Zuständigkeit auf das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf über.

In den Akten des Beklagten findet sich der “Fragebogen für Antragsteller nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)„, der vom Kläger wohl am 31. Januar 2000 unterschrieben wurde. Darin war die Frage 7.: “Warum haben Sie Ihr Heimatland verlassen und warum sind Sie nach Deutschland gekommen?„ folgendermaßen beantwortet: “weil ich als Palastininser staatenlos im libanon und hoffe ich daß in Deutschland mein Zukunft aufbauen kann„. Zu Frage 9.: “Wovon haben Sie Ihren Lebensunterhalt in der Heimat bestritten und wovon wollten Sie hier Ihren Lebensunterhalt bestreiten?„ ist angegeben: Oberhalb der Frage: “Ich habe Mit Meinem famiele gelebt, und Ich War Student„ und unterhalb der Frage “von Sozialhilfe„. Der Fragebogen ist außer in Deutsch auch noch in einer anderen, wohl einer slawischen Sprachegehalten.

Der Kläger erhielt weiter Leistungen nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AsylbLG.

Am 5. Mai 2002 stellte der Kläger einen Antrag auf Bewilligung von Analogleistungen gemäß § 2 AsylbLG analog Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 5. Juni 2002 abgelehnt mit der Begründung, der Kläger werde wegen Passlosigkeit geduldet. Passlosigkeit stelle ein tatsächliches Ausreisehindernis dar. Von daher bestünde kein Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG. Der gegen diesen Bescheid erhobene Widerspruch wurde mit Wid...

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