Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an den Nachweis einer wesentlichen Änderung bei Herabbemessung des GdB im Schwerbehindertenrecht. Heilungsbewährung bei Krebserkrankung

 

Orientierungssatz

1. Für eine wesentliche Änderung in der Bewertung der Funktionsbeeinträchtigungen im Schwerbehindertenrecht kommt es entscheidend darauf an, ob in dem Gesundheitszustand des Betroffenen Änderungen eingetreten sind, welche nachvollziehbar die betreffenden Funktionsbeeinträchtigungen verringert haben.

2. Bei einer Krebserkrankung stellt die Heilungsbewährung eine Veränderung der Sachlage i. S. von § 48 Abs. 1 S. 1 SGB 10 dar, die eine Neubewertung des GdB erforderlich macht.

3. Sechs Jahre nach Erlass des zuletzt maßgeblichen Bescheides der Versorgungsverwaltung sind zum Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen zu diesem Zeitpunkt keine tragfähigen Aussagen mehr zu gewinnen. Sind die in der Vergangenheit liegenden tatsächlichen Verhältnisse nicht mehr aufklärbar, weil die Behörde den Sachverhalt nicht umfassend ermittelt hat und auf einer unsicheren Grundlage zeitlich unbefristete Feststellungen im Wege des Verwaltungsaktes getroffen hat, so geht dies zu deren Lasten.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 7. März 2016 geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 17. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2012 wird aufgehoben, soweit der Beklagten den Grad der Behinderung auf einen Wert von weniger als 50 festgesetzt hat.

Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen Kosten des gesamten Verfahrens zur Hälfte zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die 1959 geborene Klägerin begehrt mit der Berufung die Aufhebung eines Absenkungsbescheides, mit dem der Grad der Behinderung (GdB) von 60 auf 40 herabgesetzt worden ist.

Der Klägerin war mit Bescheid vom 1. März 2005 ein GdB von 60 zuerkannt und dabei folgende Funktionseinschränkungen zugrunde gelegt worden:

1. Erkrankung der Brust rechts (Mammakarzinom)

2. degenerative Veränderung der Wirbelsäule, operierte Bandscheibe, Versteifung von Wirbelsäulenabschnitten

Einen zwischenzeitlich gestellten Antrag der Klägerin auf Feststellung eines höheren GdB lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24. Januar 2016 ab.

Mit Bescheid vom 17. August 2011 stellte der Beklagte nach Auswertung zahlreicher eingeholter Befundberichte einen GdB von 30 fest und legte dabei folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

1. Teilverlust der rechten Brust nach Mammakarzinom in Heilungsbewährung

2. operierter Bandscheibenvorfall

3. Versteifung von Wirbelsäulenabschnitten

4. degenerative Wirbelsäulenveränderungen

Die Klägerin legte am 14. September 2011 Widerspruch ein und führte aus, es seien nicht alle angegebenen Befunde ausreichend berücksichtigt worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2012 stellte der Beklagte einen GdB von 40 wegen des zusätzlich berücksichtigten Lymphödems beider Beine fest und wies den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück.

Gegen diesen Bescheid richtete sich die am 27. Juni 2012 erhobene Klage.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch die Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte und die Klage mit Urteil vom 7. März 2016 als unbegründet zurückgewiesen. Ein höherer GdB als 40 lasse sich aus den medizinischen Unterlagen nicht ableiten. Folgende Funktionseinschränkungen seien zu berücksichtigen:

1. Erkrankung der rechten Brust nach Ablauf der Heilungsbewährung (Einzel-GdB 10)

2. Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule (Einzel-GdB 30)

3. Lymphödem beider Beine (Einzel-GdB 20)

4. Psychische Beeinträchtigungen (Einzel-GdB 30)

5. Funktionsbeeinträchtigung der Hüfte (Einzel-GdB 10)

Mit der am 15. April 2016 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die neurologischen, orthopädischen und psychischen Funktionsbeeinträchtigungen seien durch das Sozialgericht nicht hinreichend gewürdigt worden. Neben den psychischen Leiden sei nach der Brust-OP ein Gewichtsunterschied von ca. 1 kg von rechts zu links zu verzeichnen, der zu einer Schiefhaltung führe. Zudem leide sie in Folge der Operation unter einem Lymphödem im rechten Arm.

Der Senat hat weiteren Beweis durch die Beiziehung des Reha-Entlassungsberichts der Knappschafts-Klinik W vom 12. April 2017 erhoben.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 7. März 2016 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 17. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2012 aufzuheben, soweit darin der Grad der Behinderung auf einen Wert von weniger als 50 abgesenkt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig. Die Klage ist als isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz ...

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