Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. unangemessene Verfahrensdauer. 18-monatige Vorbereitungs- und Bedenkzeit je Instanz bei exzessiver Inanspruchnahme der Gerichte. Berücksichtigung des Prozessverhaltens des Klägers auch in anderen Verfahren. hohe Anzahl von Klagen des Entschädigungsklägers. Prüfung der doppelten Rechtshängigkeit. Zuwarten auf Ermittlungsergebnisse aus Parallelverfahren. hohes Anspruchsdenken

 

Leitsatz (amtlich)

Nimmt ein Kläger eine Gerichtsbarkeit exzessiv, wenn nicht sogar zu sachfremden Zwecken in Anspruch, bindet er durch die Art seiner Verfahrensführung unnötige Arbeitskapazitäten bei den Gerichten und sind die Klagebegehren von erheblichem Anspruchsdenken geprägt, kann die den Gerichten regelmäßig im Umfang von zwölf Monaten zur Verfügung stehende Vorbereitungs- und Bedenkzeit verlängert werden (hier: auf 18 Monate für das sozialgerichtliche Verfahren).

 

Orientierungssatz

1. Ausschlaggebend dafür ist nicht das Vorgehen des Klägers im konkreten streitgegenständlichen Ausgangsverfahren. Vielmehr berücksichtigt der Senat im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung neben der Anzahl der vom Kläger geführten Rechtsstreitigkeiten insbesondere sein Prozessverhalten im Allgemeinen und stellt dabei in Rechnung, ob sich dieses zum Nachteil aller anderen Rechtsschutz Suchenden auswirkt (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 25.8.2015 - L 37 SF 29/14 EK AS = NZS 2016, 40).

2. Sind Prüfungen zur doppelten Rechtshängigkeit des Verfahrens erforderlich, ist dies nicht dem Gericht anzulasten, sondern fällt vielmehr in den Verantwortungsbereich des Klägers.

3. Zur entschädigungsrechtlichen Behandlung von Zeiten, in denen in Parallelverfahren geführte bzw zumindest erwartete medizinische Ermittlungen abgewartet werden.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin zuletzt unter dem Aktenzeichen S 61 AS 314/11 geführten Verfahrens. Dem inzwischen rechtskräftig abgeschlossenen Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit seiner am 05. Januar 2011 beim Sozialgericht Berlin erhobenen, dort zunächst unter dem Aktenzeichen S 196 AS 314/11 registrierten Klage wandte der Kläger sich gegen die mit Bescheid des Jobcenters - des Beklagten im Ausgangsverfahren - vom 03. Januar 2011 ausgesprochene Absenkung des ihm gewährten Arbeitslosengeldes II um monatlich 71,80 € für die Monate Februar bis April 2011 aufgrund eines Meldeversäumnisses. Zur Begründung machte er geltend, dass er gehbehindert und chronisch krank sei, seine Wohnung nicht an den öffentlichen Personennahverkehr angeschlossen sei und das Jobcenter keine Taxikosten übernehme.

Nach Bestätigung des Klageeingangs unter dem 06. Januar 2011 und Eingang der Klageerwiderung am 01. März 2011 wies die Kammervorsitzende unter dem 02. März 2011 auf die Unzulässigkeit der Klage mangels Durchführung eines Widerspruchsverfahrens hin und regte deren Rücknahme an. Dies verband sie mit einer Anhörung zur Entscheidung gemäß § 105 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Unter dem 06. März 2011 bat der Kläger daraufhin um Übersendung seines eigenen Schriftsatzes vom 05. Januar 2011. Nachdem das Gericht dieser Bitte umgehend nachgekommen war, hielt der Kläger unter dem 10. März 2011 an seinem Begehren fest und behauptete nunmehr, für Strecken von mehr als 50 m ein Taxi zu benötigen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. März 2011 wies der Beklagte des Ausgangsverfahrens den Widerspruch zurück. Der Bescheid ging zwei Tage später beim Sozialgericht ein. Unter dem 04. April 2011 wies die Kammervorsitzende den Kläger darauf hin, dass die Klage nunmehr zulässig sei. Weiter teilte sie bei dieser Gelegenheit mit, dass in dem vom Kläger parallel geführten, eine Sanktion für einen vorangehenden Zeitraum betreffenden Verfahren S 168 AS 25850/10 die Einholung eines Wegefähigkeitsgutachtens beabsichtigt sei, das auch für dieses Verfahren von Bedeutung sein dürfte. Die 168. Kammer bat sie am selben Tage um Benachrichtigung nach Eingang dieses Gutachtens. Schließlich setzte sie sich in Erwartung des Gutachtens eine Frist von drei Monaten.

Anfang Juli 2011 forderte die Kammervorsitzende die Akten der 168. Kammer an, die zwischenzeitlich in der 127. Kammer unter dem Aktenzeichen S 127 AS 25850/10 geführt wurden. Am 18. Juli 2011 gingen die Akten ein. Am selben Tag sandte die Kammervorsitzende diese zurück und erkundigte sich, ob die Einholung eines Gutachtens zur Wegefähigkeit des Klägers beabsichtigt sei. Nachdem ihr mit am 27. Juli 2011 eingegangenem Schreiben mitgeteilt worden war, dass dies nicht der Fall sei, leitete die Kammervorsitzende am Folgetag eigene medizinische Ermittlungen ein. Nach Eintreffen der vom Kläger benötigten Erklärungen im August, gingen im Laufe des September 2011 - teilweise erst auf gerichtliche Mahnung - verschiedene angeforderte Befunde aus der den Kläger behandelnden orthopädischen Praxis ein....

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