Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. stationäre Unterbringung. Kostenerstattung zwischen Sozialhilfeträgern. Zuständigkeit für die Leistungserbringung nach § 14 Abs 2 S 1 SGB 9. örtliche Unzuständigkeit. Erstattungsanspruch nach § 2 Abs 3 S 2 SGB 10. Erstattungsanspruch nach § 14 Abs 4 S 1 SGB 9. Erstattungsanspruch nach § 104 Abs 1 S 1 SGB 10

 

Orientierungssatz

1. Eine ausdrückliche Regelung zu einem sich nur durch eine Änderung der sachlichen Zuständigkeit ergebenden Wechsel der örtlichen Zuständigkeit enthält § 2 Abs 3 S 2 SGB 10 nicht. Mangels einer planwidrigen Regelungslücke ist er auf einen solchen Fall auch nicht entsprechend anwendbar.

2. Ein Erstattungsanspruch nach § 14 Abs 4 S 1 SGB 9 kommt nur in Fällen der Weiterleitung eines Teilhabeantrags nach § 14 Abs 1 S 2 SGB 9 in Betracht.

3. Die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit bestimmen die gebietsmäßige Abgrenzung der Zuständigkeiten von nach ihrer sachlichen Zuständigkeit gleichrangig verpflichteten Trägern. Ein Erstattungsanspruch des nach § 14 Abs 2 S 1 SGB 9 (aber nicht örtlich) zuständigen Sozialhilfeträgers gegen den örtlich zuständigen Sozialhilfeträger kann sich damit nicht aus § 104 Abs 1 S 1 SGB 10 ergeben.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 01.03.2018; Aktenzeichen B 8 SO 22/16 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 11. Juni 2012 aufgehoben.

Die Klagen werden abgewiesen.

Der Kläger trägt die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Beklagten für beide Rechtszüge.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Fallübernahme und die Erstattung von Kosten für die stationäre Betreuung der im April 1940 geborenen Hilfeberechtigten S R K (im Folgenden: Hilfeberechtigte).

Die Hilfeberechtigte leidet langjährig vor allem an psychischen Erkrankungen in Gestalt einer chronischen schizoaffektiven Psychose und einer leichten Intelligenzminderung (im Sinne einer Debilität). Bei ihr sind seit 1993 nach den Vorschriften des Schwerbehindertenrechts ein Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen B, G, H und RF anerkannt. Sie erhält aus der gesetzlichen Rentenversicherung seit 1. August 1995 eine Rente nach den Vorschriften des Rentenüberleitungsrechts für das Beitrittsgebiet, die zunächst als Invalidenrente für Behinderte (Zahlbetrag statisch 467,-- DM, entsprechend 238,77 €) gewährt wurde und seit Dezember 2010 als Altersrente (anfänglicher Zahlbetrag 327,03 €) gewährt wird.

Die Hilfeberechtigte war nach ihrer Geburt zunächst bei ihrer Mutter in B gemeldet. Dieser Ort lag vor wie nach der Vereinigung beider deutscher Staaten im Gebiet des Kreises O, der 1993 im Kreisgebiet des Beklagten aufging (§ 3 des Gesetzes zur Neugliederung der Kreise und kreisfreien Städte im Land Brandenburg vom 24. Dezember 1992 (KNGBbg), Brandenburger GVBl.I/92, S.546, in der Fassung des Gesetzes vom 15. Oktober 1993, GVBl.I/93, S.398, 454, i.V. mit § 1 des Gesetzes zur Bestimmung von Verwaltungssitz und Namen des Landkreises O. vom 22. April 1993, GVBl.I/93, S.144). Seit 31. Dezember 2001 ist er Ortsteil der Gemeinde O. (Genehmigung des Brandenburger Ministerium des Inneren vom 19. November 2001 betreffend die Bildung einer neuen Gemeinde O, ABl./01, S. 851).

Vom 9. August 1954 bis 23. Februar 1965 hielt sich die Hilfebedürftige im (ebenfalls im früheren Kreis O und seit 1993 im Kreisgebiet des Beklagten gelegenen) evangelischen Diakonissenhaus A O des Mutterhauses N auf. Es handelte es sich zur damaligen Zeit um ein Heim unter anderem für Kinder und junge Frauen mit geistiger Behinderung. Sie erhielten dort neben Unterkunft und Verpflegung die Möglichkeit, beruflich verwertbare Kenntnisse zu erwerben. Die Betreuung erfolgte durch die Diakonissinnen.

Anschließend wechselte die Hilfeberechtigte in das Krankenpflegeheim W/D - zeitweilig in dessen Außenstelle in M/Kreis W -, das nach der Vereinigung der deutschen Staaten unter der Bezeichnung “A-Zentrum D-Park„ durch Träger der Arbeiterwohlfahrt weitergeführt wurde (im Folgenden: A-Zentrum). Eine ärztliche Begutachtung hatte Ende 1964 zum Ergebnis, dass sie nicht in der Lage sei, sich selbst zu versorgen. Sie solle in einer geschützten Umgebung die Möglichkeit erhalten, sich psychisch zu stabilisieren und langfristig einen Ort zum Leben zu finden (Diagnosen: depressive Phasen mit Zeichen einer querulatorischen Psychopathie, Diabetes mellitus, Poriomanie (Impulsstörung mit zwanghaftem Drang zum Weglaufen ohne erkennbaren Grund oder fassbares Ziel)). Das Krankenpflegeheim war nach Stationen bzw. Wohnbereichen untergliedert und ärztlich betreut. Es bestanden Arbeitsmöglichkeiten.

Die Stadt W war im Gebiet des gleichnamigen Kreises gelegen, der 1993 im Kreisgebiet des Klägers aufging (§ 2 KNGBbg i.V. mit § 1 des Gesetzes zur Bestimmung von Verwaltungssitz und Namen des Landkreises O-R vom 22. April 1993, GVBl.I/93, S.143)

Ab dem Inkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) in den neuen Bundesländern am 1. Januar 1991 erbrachte das La...

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