Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Minderung der Grundsicherungsleistung wegen Versäumnis von Meldeterminen. Inzidente Prüfung der Meldeaufforderung. Ermessen des Grundsicherungsträger. Meldezweck

 

Orientierungssatz

Jedenfalls bei einer Vielzahl wiederholter Meldeaufforderungen (hier: 14 Meldeaufforderungen in einem Zeitraum von neun Monaten) durch den Grundsicherungsträger, denen immer der gleiche Meldegrund zugrunde liegt und die vom Grundsicherungsempfänger jeweils nicht wahrgenommen werden, liegt den weiteren Meldeaufforderungen ein Ermessensfehler zugrunde, insbesondere wenn die Aufforderungen maßgeblich zur Verhängung einer weiteren Sanktion erfolgten. Das gilt jedenfalls dann, wenn in den jeweiligen Meldeaufforderungen kein spezifischer Grund aufgeführt ist, der die wiederholte Aufforderung sachlich begründet.

 

Normenkette

SGB II §§ 32, 31a Abs. 3, §§ 31b, 59, 309 Abs. 2; SGB X § 48 Abs. 1; SGG § 54 Abs. 2 S. 2

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. Dezember 2013 aufgehoben.

Die Bescheide des Beklagten vom 7. Februar 2013 einschließlich des Änderungsbescheides vom 7. Februar 2013, vom 19. Februar 2013 einschließlich des Änderungsbescheides vom 19. Februar 2013, vom 18. März 2013 (zwei Bescheide) einschließlich des Änderungsbescheides vom 18. März 2013, vom 8. April 2013, vom 9. April 2013 und vom 19. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2013 werden aufgehoben, soweit der Beklagte mit ihnen jeweils eine Minderung des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld II monatlich um 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs festgestellt und entsprechend die Leistungsbewilligungen für die Monate März bis Mai 2013 teilweise aufgehoben hat.

Der Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung der Bescheide vom 18. März 2013 und vom 19. April 2013 in der Fassung des Bewilligungsbescheides vom 23. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2013 verurteilt, dem Kläger das infolge Minderungen bei Meldeverstößen einbehaltene Arbeitslosengeld II in Höhe von 191,- Euro für Juni 2013 und in Höhe von 114,60 Euro für Juli 2013 zu gewähren und auszuzahlen.

Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten für den gesamten Rechtsstreit zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Umstritten ist die Rechtmäßigkeit von sieben Minderungen von Ansprüchen auf Arbeitslosengeld II (Alg II) wegen Meldeversäumnissen.

Der 1984 geborene Kläger hat nach dem Realschulabschluss eine Ausbildung zum Kaufmann für Bürokommunikation mit Abschluss absolviert (September 2003 bis Juni 2005), anschließend das Abitur gemacht und von September 2007 bis Juni 2008 ohne Abschluss im Fachbereich Bachelor of Science/Informatik studiert. Anschließend hat er keine Tätigkeit ausgeübt, ehe er am 19. April 2010 erstmals bei dem Beklagten Alg II beantragte mit der Begründung, die Eltern würden ihn nun nicht mehr unterstützen und wünschen, dass er ausziehe. Seit Juni 2010 bezieht der Kläger von dem Beklagten Alg II.

Unter dem 17. März 2011 schlossen Kläger und Beklagter eine bis zum 16. September 2011 gültige Eingliederungsvereinbarung (EGV), in der als Ziel die Integration des Klägers in den allgemeinen Arbeitsmarkt als Kaufmann für Bürokommunikation oder angrenzende Tätigkeiten oder Berufe angegeben wurde. Gegenstand der EGV war im Wesentlichen das Angebot und die Wahrnehmung einer Einladung des Psychologischen Dienstes der Agentur für Arbeit durch den Kläger zur Unterstützung seiner beruflichen Neuorientierung. In einem psychologischen Ergebnisbericht über die psychologische Beratung vom 20. April 2011 wurde mitgeteilt, der Kläger sei zu zwei Terminen im Rahmen einer psychologischen Beratung erschienen, doch jeweils sei es nicht gelungen, das Beratungsanliegen zu klären. Einen weiteren Termin wolle der Kläger derzeit nicht wahrnehmen, möchte aber gegebenenfalls später auf ein solches Angebot zurückgreifen.

Nach Aktenlage wurde der Kläger durch den Beklagten nach Verschiebung des Termins zum 12. Dezember 2011 zu einem ersten Meldetermin geladen, den er nicht wahrnahm. Mit Bescheid vom 10. Januar 2012 minderte der Beklagte für den Zeitraum von Februar bis April 2012 den Regelbedarf um 10 Prozent (36,40 Euro monatlich).

Ausweislich jetzt vorgelegter Verbis-Vermerke wurde der Kläger von dem Beklagten einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung bei der TÜV Akademie GmbH (nachfolgend: TÜV) zugewiesen. Einer telefonischen Einladung des TÜV zum 27. März 2012 leistete er ausweislich einer e-mail des TÜV an den Beklagten offenbar keine Folge. Ausweislich weiterer e-mails erschien der Kläger offenbar auch nicht zu weiteren Terminen am 2. und 10. April 2012. Mit Bescheid vom 21. Mai 2012 minderte der Beklagte den Regelbedarf für den Zeitraum von Juni bis August 2012 um 30 Prozent (112,20 Euro monatlich), weil der Kläger am 27. März 2012 die “Maßnahme Praxiscenter bei TÜV„ nicht angetreten habe. In der diesbezügli...

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