Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. GdB-Festsetzung. Diabetes mellitus. Sport als Therapie
Orientierungssatz
Zur Anhebung des Grades der Behinderung (GdB) um einen Zehnergrad (von 30 auf 40) in Folge eines erforderlichen Therapieaufwandes von anderthalb Stunden Sport am Tag.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. September 2007 aufgehoben und der Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 21. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2006 verurteilt, bei der Klägerin ab April 2006 einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte hat der Klägerin die ihr entstandenen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).
Die 1953 geborene Klägerin leidet u.a. an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 2. Sie muss morgens, mittags und abends zu genau festgelegten Zeiten Insulin spritzen. Morgens hat sie auch ihren Blutzuckerwert zu messen. Sie muss ein starres Diätschema einhalten und dreimal täglich zu festgesetzten Zeiten jeweils vier Broteinheiten zu sich nehmen. Der HbA 1c -Wert betrug zuletzt 6,0. Die Einstellung der Blutzuckerwerte gelingt ihr nur durch ein hohes Maß an Disziplin bei der Gestaltung des gesamten Tagesablaufs, und zwar bezogen auf das Messen, das Spritzen, die Diät und den hohen täglichen sportlichen Aufwand. Regelmäßig betreibt sie über anderthalb Stunden am Tag Nordic Walking.
Auf den Antrag der Klägerin von April 2006 stellte der Beklagte nach versorgungsärztlicher Auswertung der ihm vorliegenden ärztlichen Unterlagen mit Bescheid vom 21. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2006 bei ihr folgende Funktionsbeeinträchtigungen (die verwaltungsintern mit den sich aus den Klammerzusätzen ergebenden Einzel-GdB bewertet wurden) mit einem Gesamt-GdB von 40 fest:
a) Diabetes mellitus (GdB von 30),
b) Sehminderung (GdB von 20).
Die auf Zuerkennung eines GdB von 50 gerichtete Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 25. September 2007 abgewiesen: Die Bescheide des Beklagten seien rechtmäßig, denn die Klägerin habe auf die Feststellung eines GdB in dieser Höhe keinen Anspruch.
Der Diabetes mellitus sei mit einem Einzel-GdB von 30 zutreffend eingeschätzt worden. Maßstab seien die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP), nicht der GdB-Katalog der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) vom 16. November 1994 (abgedruckt in Diabetes und Stoffwechsel, Nr. 7, 1998, S. 60). Dass es bei der Klägerin zu häufigen und ausgeprägten Hypoglykämien oder Organkomplikationen gekommen sei, welche die Anhebung des GdB auf mehr als 30 rechtfertigen könnten, sei aufgrund der versorgungsärztlichen Auswertung des Diabetes-Tagebuchs durch Dr. D nicht anzunehmen. Auch habe die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass es bei ihr noch nicht zu einem Zuckerschock gekommen sei. Die Sehbehinderung rechtfertige nach den AHP einen Einzel-GdB von 20, denn aus dem Befundbericht der die Klägerin behandelnden Augenärztin A vom 22. Mai 2006 ergebe sich eine korrigierte Sehschärfe des rechten Auges von 0,9 und des linken Auges von 0,1. Weitere, über die Beeinträchtigung der Sehschärfe hinausgehende Funktionsstörungen lägen nicht vor.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin unter Vorlage diverser ärztlicher Unterlagen Berufung eingelegt. Der Senat hat Befundberichte der sie behandelnden Augenärztin A vom 11. Dezember 2008 und der Internistin Dr. T - S vom 4. Februar 2009 eingeholt.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Diabetes mellitus mit einem Einzel-GdB von mindestens 50 bewertet werden müsse. Es sei rechtlich unerheblich, dass es bei ihr in der Vergangenheit noch nicht zu einem Zuckerschock gekommen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. September 2007 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 21. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2006 zu verurteilen, bei ihr ab April 2006 einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Er tritt dem Vorbringen der Klägerin unter Bezugnahme auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen der Internistin R vom 5. März 2009 und der Augenärztin L vom 12. März 2009 entgegen. Er ist weiterhin der Auffassung, dass der Diabetes mellitus mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten sei. Sollte hierfür allerdings ein Einzel-GdB von 40 in Ansatz zu bringen sein, würde die Sehbehinderung der Klägerin zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB von 50 führen.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der ...