Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung. Rechtmäßigkeit eines Regresses wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen. Zulässigkeit der eingeschränkten Einzelfallprüfung. kein Beurteilungsspielraum der Prüfgremien bei der Prüfung der Unwirtschaftlichkeit. Ermessensentscheidung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine eingeschränkte Einzelfallprüfung kann auch dann zulässig sein, wenn ein statistischer Vergleich von Arzneimittelverordnungen (hier: für selektive ß-Blocker) das Aufgreifkriterium bildet.
2. Beanstanden die Prüfgremien, dass der Vertragsarzt ein bestimmtes Arzneimittel verordnet hat, obwohl therapeutisch gleichwertige, jedoch preiswertere Arzneimittel zur Verfügung gestanden hätten, steht ihnen bei der Prüfung der Unwirtschaftlichkeit kein - gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer - Beurteilungsspielraum zu. Die Prüfung der Unwirtschaftlichkeit erfolgt wirkstoffbezogen.
3. Über die Rechtsfolge der Unwirtschaftlichkeit treffen die Prüfgremien eine Ermessensentscheidung, in deren Rahmen in einem ersten Schritt der beanstandeten Verordnung ein konkret zu bezeichnendes Alternativpräparat (und nicht nur ein Wirkstoff) gegenüberzustellen und die therapeutische Gleichwertigkeit beider Arzneimittel durch einen auf den betroffenen Versicherten bezogenen Vergleich möglicher Nebenwirkungen sowie ggf pharmakodynamischer und -kinetischer Eigenschaften zu klären ist. Erweisen sich beide Arzneimittel als therapeutisch gleichwertig, ist in einem zweiten Schritt anhand eines Wirkstärkenvergleichs zu prüfen, welches Arzneimittel preiswerter ist. Weitere Umstände des Einzelfalls, wie z.B. Besonderheiten der Dosierung oder der bereits erfolgte Einsatz weiterer Alternativpräparate, können Berücksichtigung verlangen. In einem dritten Schritt ist schließlich zu prüfen, ob im Hinblick auf eine als ausreichend erachtete Beratung von der Festsetzung eines Regresses abzusehen ist oder ob bei der Entscheidung über die Höhe des Regresses weitere Besonderheiten des Einzelfalls (zB Unsicherheit über die Schadenshöhe, Anfängerpraxis) zu berücksichtigen sind.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 2006 (betreffend die Versicherte C P) wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Regress wegen der Verordnung des Arzneimittels Nebilet im Quartal III/03.
Die Klägerin nimmt als Fachärztin für Innere Medizin an der vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk B-K (Ortsteil B) teil. Sie verordnete ihrer bei der Beigeladenen zu 2) krankenversicherten, 1958 geborenen Patientin C P (im Folgenden: die Versicherte) zur Behandlung eines hyperkinetischen Herzsyndroms mit arteriellem Hypertonus am 14. Juli 2003 das Arzneimittel Nebilet 50 Tbl. (Packungsgröße N 2). Ausweislich der Fachinformation (Stand: März 2001) war dieses Arzneimittel, ein selektiver β-Rezeptorenblocker, damals zur Behandlung der essenziellen Hypertonie zugelassen und enthält als Wirkstoff 5 mg Nebivolol (als Nebivololhydrochlorid). Nach Auffassung des pharmazeutischen Herstellers unterscheidet sich der Wirkmechanismus von Nebivolol wesentlich von den Wirkmechanismen anderer β-Rezeptorenblocker wie z.B. Bisoprolol und Metoprolol. Deren Wirkung beschränke sich darauf, dem Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz entgegen zu wirken, indem sie an die β-1-Rezeptoren anbänden. Der pharmakologische Effekt von Nebivolol gehe darüber hinaus, weil es gleichzeitig - nach Ziffer 5.1 der o.g. Fachinformation allerdings nur milde - vasodilatierend (gefäßerweiternd) und somit ebenfalls blutdrucksenkend wirke (vgl. Beschluss des Senats vom 19. Dezember 2008, Az.: L 9 B 192/08 KR ER, veröffentlicht in Juris).
Mit am 17. Juni 2004 beim Prüfungsausschuss eingegangenen Schreiben stellte die Beigeladene zu 2) einen “Antrag auf Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise nach § 106 SGB V und § 25 Abs. 1 der Prüfvereinbarung„ wegen der o.g. Verordnung der Klägerin. Zur Begründung führte die Beigeladene zu 2) aus:
“Die Auswertung der Verordnungen von Betablockern im 3. Quartal 2003 hat ergeben, dass in der Arztpraxis mehr als 15 % der Verordnungen auf das kostspielige Präparat Nebilet (Wirkstoff Nebivolol) entfielen, obwohl preiswertere, therapeutisch gleichwertige Alternativen zur Verfügung standen.
Damit liegt der Verordnungsanteil mehr als 100 % über dem Durchschnitt, den die Berliner Ärzte bei den Betablockern erreichten.
Bei Zugrundelegung von mehr als 70 % der GKV-Verordnungen in Berlin im angesprochenen Quartal hat sich gezeigt, dass bei den drei Betablockern Atenolol, Metoprolol und Nebivolol insgesamt der Anteil der Nebivolol-Verordnungen 7,4 % ausmacht.
Nebivolol ist nach der Bewertung im Arzneiverordnungsreport (AVR 2003, S. 359), nur als Analogpräparat mit dreifach höheren Therapiekosten als Atenolol zu betrac...