Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsprüfung. Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen. Allgemeinverbindlichkeitserklärung für Tarifvertrag mit Mindestlohnfestsetzung. Tarifvertrag für das Maler- und Lackiererhandwerk des Landes Brandenburg. Wirksamkeit. Beweislast des Vorliegens der Voraussetzungen der Allgemeinverbindlichkeit beim Rentenversicherungsträger

 

Orientierungssatz

1. Die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrages, also das Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 TVG und die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, ist von Amts wegen zu prüfen, wenn - wie hier - ein tariflicher Anspruch gegenüber jemandem geltend gemacht wird, der aus dem fraglichen Tarifvertrag selbst weder kraft Tarifbindung noch aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung verpflichtet ist (vgl BAG vom 22.9.1993 - 10 AZR 371/92 = BAGE 74, 226).

2. Bestehen erhebliche Zweifel daran, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs 1 S 1 Nr 1 TVG für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrages erfüllt sind, hat der unter Zugrundelegung dieses Tarifvertrages im Prüfverfahren Gesamtsozialversicherungsbeiträge nachfordernde Rentenversicherungsträger das Vorliegen dieser Voraussetzungen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 25.6.2010 - L 1 KR 87/08).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 08.06.2011; Aktenzeichen B 12 KR 2/11 B)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 22. April 2004 sowie der Bescheid der Beklagten vom 20. November 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2002 aufgehoben.

Die Beklagte hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, welche diese selbst zu tragen haben.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Nachforderung von Sozialversicherungs- und Umlagebeiträgen für tarifvertraglich geschuldeten, tatsächlich aber nicht gezahlten Arbeitslohn in den Zeiträumen vom 1. Dezember 1996 bis 30. April 1997 und vom 1. Januar 1998 bis 30. April 1999.

Die Klägerin firmierte als Malereibetrieb mit Sitz in B., sie beschäftigte in den oben genannten Zeiträumen die Beigeladenen zu 3) bis 30) als gewerbliche Arbeitnehmer. In einem Antrag auf eine Strukturanpassungsmaßnahme vom 6. August 1998 gab sie gegenüber der Arbeitsverwaltung als Gegenstand ihres Unternehmens das Handwerk an, nämlich Maler-, Tapezier- und Lackierarbeiten sowie Bodenbelagsarbeiten. Im Handelsregister war als Gegenstand des Unternehmens “Malerarbeiten aller Art„ vermerkt. Bei der Gewerbeanmeldung wurden ursprünglich als Tätigkeiten Malerarbeiten, nämlich Anstrich-, Tapezier- und Spachtelarbeiten, Fassaden-/ Korrosionsschutz, Asbestbeschichtung/ Vollwärmeschutz und Bodenbelagsarbeiten genannt. Nach Verschmelzung mit einer anderen Firma am 17. Mai 2002 erfolgte eine Ummeldung des Gewerbes (auch) als Generalunternehmen für Bauvorhaben, Vermittlung und Bebauung von Grundstücken, Verwertung sowie Verwaltung auch als Bauträger, Tätigkeit als Projektmanager. In der Zeit von 1996 bis 1999 war die Klägerin der Gemeinnützigen Urlaubskasse für das Maler- und Lackiererhandwerk e.V. und der Zusatzversorgungskasse des Maler- und Lackiererhandwerks VVaG als Malerbetrieb gemeldet.

Für den räumlichen Geltungsbereich des Landes Brandenburg war am 6. August 1996 mit Wirkung ab dem 1. Mai 1996 bis zum 30. April 1997 zwischen dem Landesinnungsverband für das Maler- und Lackiererhandwerk Berlin-Brandenburg und der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, Landesverband Berlin-Brandenburg, eine Lohntabelle für alle gewerblichen Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk vereinbart worden. Diese sah unter anderem vor, dass für Arbeitnehmer ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung im Maler- und Lackiererhandwerk ab dem vollendeten 20. Lebensjahr sowie für Junggesellen mit bestandener Gesellenprüfung im 1. Gesellenjahr im Zeitraum ab dem 1. November 1996 ein Mindestarbeitslohn in Höhe von 19,27 DM je Stunde zu zahlen war. Der Landesinnungsverband beantragte beim Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Brandenburg (MASGF) die Allgemeinverbindlichkeitserklärung dieser Lohntabelle. Er gab an, dass im Land Brandenburg von insgesamt 6.525 gewerblichen Arbeitnehmern im Maler- und Lackiererhandwerk 5.544 bei Betrieben beschäftigt seien, die bei ihm (dem Landesinnungsverband) organisiert seien. Das MASGF erfragte telefonisch bei der Gemeinnützigen Urlaubskasse für das Maler- und Lackiererhandwerk e.V. / Zusatzversorgungskasse des Maler- und Lackiererhandwerks VVaG die Zahl der im Mai 1996 und September 1996 für das Land Brandenburg gemeldeten Betriebe und Beschäftigten. Am 31. Januar 1997, veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 47 vom 8. März 1997, S. 2770, erklärte das MASGF die Lohntabelle vom 6. August 1996 für die Zeit vom 1. Mai 1996 an für allgemeinverbindlich. Das Außerkrafttreten der Lohntabelle mit dem 30. April 1997 wurde im Bundesanzeiger Nr. 129 vom 16. Jul...

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