Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. Verfahren zur Kostengrundentscheidung. Gerichtsverfahren iS des § 198 Abs 6 Nr 1 GVG. Vorbereitungs- und Bedenkzeit von drei Monaten. Wiedergutmachung auf andere Weise. Personenidentität von Antragsteller und Bevollmächtigtem. notwendige Kosten zur vorprozessualen Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs
Leitsatz (amtlich)
1. Das Verfahren zur Herbeiführung einer Kostengrundentscheidung nach § 193 Abs 1 S 3 SGG ist entschädigungsrechtlich als eigenes Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs 6 Nr 1 GVG zu werten (Fortführung zu LSG Berlin-Potsdam vom 24.11.2016 - L 37 SF 247/14 EK KR).
2. Für ein Verfahren zur Herbeiführung einer Kostengrundentscheidung nach § 193 Abs 1 S 3 SGG steht den Gerichten in der Regel eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit im Umfang von drei Kalendermonaten zu (Aufgabe der früheren Rechtsprechung in LSG Berlin-Potsdam vom 24.11.2016 - L 37 SF 247/14 EK KR).
3. Ob in derartigen Verfahren grundsätzlich eine Wiedergutmachung im Wege der Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer ausreichend ist, kann dahinstehen. Jedenfalls ist dies im Falle weiterer Besonderheiten - hier Personenidentität von Antragsteller und Bevollmächtigtem im zugrundeliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren - anzunehmen.
4. Soweit in den für die vorprozessuale Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs angefallenen Kosten ein Vermögensschaden liegt (Anschluss an BVerwG vom 27.2.2014 - 5 C 1/13 D = Buchholz 300 § 198 GVG Nr 3), kommt ein Ersatz nur im notwendigen - vom Erfolg in der Sache abhängigen - Umfang in Betracht.
Nachgehend
Tenor
Die unangemessene Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin unter dem Aktenzeichen S 157 AS 2483/18 ER geführten Verfahrens zur Herbeiführung einer Kostengrundentscheidung wird festgestellt. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger zum Ausgleich seines Vermögensnachteils eine Entschädigung in Höhe von 93,42 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 15. April 2019 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat 85 %, der Beklagte 15 % der Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin unter dem Aktenzeichen S 157 AS 2483/18 ER geführten Verfahrens.
Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Am 01. März 2018 beantragte der Kläger beim Sozialgericht Berlin, das Jobcenter B (Antragsgegner des Ausgangsverfahrens) im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, "die bisherigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts" vorläufig weiter zu erbringen, nachdem der Antragsgegner die im November 2017 bis einschließlich März 2018 in Höhe von monatlich 1.000,01 € bewilligten Leistungen für März 2018 nicht ausgezahlt hatte. In dem unter dem Aktenzeichen S 157 AS 2483/18 ER registrierten Verfahren forderte das Sozialgericht den Antragsgegner noch am selben Tage zur Erwiderung innerhalb einer Wochen auf. Am 06. März 2018 ging dessen Stellungnahme ein, in der er die Gründe seines Vorgehens darlegte und darauf verwies, mit Änderungsbescheid vom 05. März 2018 inzwischen für März 2018 Leistungen in Höhe von 928,01 € bewilligt zu haben.
Noch am selben Tage erfolgte eine Weiterleitung des Schriftsatzes an den Kläger zur Stellungnahme. Nachdem dieser am 07. März 2018 angedroht hatte, einen Eilantrag an das Bundesverfassungsgericht zu richten, falls bis zum Folgetag keine Entscheidung über seinen Antrag erfolgt sei, kündigte er zwei Tage später einen umfangreichen Schriftsatz für den kommenden Montag an, in dem er "der Barbarei … des Antragsgegners entschieden entgegentreten werde". Am 13. März 2018 machte er sodann einen weitergehenden Anspruch in Höhe von 172,99 € für die Kosten der Unterkunft und Heizung geltend und führte in einem gut zehnseitigen - mit 28 Blatt Anlagen versehenen - Schriftsatz zur Notwendigkeit eines Umzuges und zu bei ihm bestehenden erhöhten besonderen Wohnraumbedarf aus.
Mit Datum vom 13. März 2018 erteilte das Gericht ihm einen rechtlichen Hinweis und forderte Kontoauszüge der letzten drei Monate an; den Antragsgegner forderte es zur Übersendung der Akten sowie zu einer Stellungnahme zu einer genau umrissenen Frage auf. Der Antragsgegner reagierte am 16. März 2018. Am 19. März 2018 erfolgte eine Weiterleitung des Schriftsatzes an den Kläger zur Stellungnahme sowie eine Anforderung der Leistungsakten bei zwei anderen Kammern des Sozialgerichts. Tags darauf ging die Stellungnahme des Klägers ein und wurde umgehend dem Antragsgegner zur Stellungnahme innerhalb von fünf Tagen zugeleitet. Am 20. März 2018 wurde dem Kläger nochmals das - möglicherweise nicht übersandte - Schreiben vom 13. März 2019 zugeleitet. Am selben Tag ging die Stellungnahme des damaligen Antragsgegners ein, der den Besche...