Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Sachbezug. kostenfreie Verpflegung durch Familienangehörige in der Haushaltsgemeinschaft
Orientierungssatz
1. Die einem volljährigen, in Haushaltsgemeinschaft lebenden Kind von den Eltern zugewandte freie Verpflegung stellt als Sachleistung bzw Sachbezug mit Marktwert zu berücksichtigendes Einkommen nach § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 iVm § 2 Abs 4 AlgIIV aF dar. Bedenken im Hinblick auf die - von § 1 Abs 1 S 1 SachbezV 1995 abweichende - Festsetzung des Wertes in Höhe von 35% der Regelleistung bestehen nicht.
2. Im Hinblick auf die Verpflichtung zur Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Verringerung der Hilfebedürftigkeit nach § 2 Abs 1 S 1 SGB 2, ist es unerheblich, wenn der Hilfebedürftige die angebotene Vollverpflegung nur teilweise in Anspruch nimmt.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung freier Verpflegung bei der Berechnung der Höhe von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende in der Zeit vom 18. Januar bis 31. Juli 2005.
Die ... 1985 geborene Klägerin wohnt zusammen mit ihren Eltern in einer 66,9 m² großen Wohnung, für die von ihren Eltern eine Bruttogesamtmiete von 418,55 € zu zahlen ist. Die Mutter erzielte im maßgebenden Zeitraum ein monatliches Nettoeinkommen von 1.464,83 € (brutto 1.782,53 €) aus einer abhängigen Beschäftigung, der Vater hatte keine Einkünfte. Das Kindergeld in Höhe von 154,00 € monatlich erhielt die Mutter der Klägerin. Mietzahlungen leistete die Klägerin nicht an ihre Eltern.
Die Klägerin beantragte am 18. Januar 2005 die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dabei gab sie an, dass ihr volle Verpflegung zur Verfügung gestellt werde; dafür behalte die Mutter das Kindergeld. Der Beklagte bewilligte daraufhin der Klägerin mit Bescheid vom 4. April 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Zeit vom 18. Januar bis 31. Juli 2005 in Höhe von 61,34 € anteilig für den Monat Januar sowie in Höhe von monatlich 131,45 € für die Zeit von Februar bis Juli 2005. Dabei rechnete er monatlich vom Einkommen der Mutter einen Betrag von 92,80 € an. Die Regelleistung wurde außerdem aufgrund der freien Verpflegung für die Klägerin um 35 % der Regelleistung, also in Höhe von 120,75 € monatlich gekürzt.
Den dagegen wegen der Einkommensanrechnung eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. November 2005 zurück. Nach § 9 Abs. 5 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II) werde vermutet, dass Hilfebedürftige Leistungen von ihren Verwandten erhielten, mit denen sie in Hausgemeinschaft lebten, soweit dies nach deren Einkommen erwartet werden könne. Die Berücksichtigung von Einkommen erfolge nach der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V). Nach § 1 Abs. 2 ALG II-V seien Nettoeinnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie einen Freibetrag in Höhe des doppelten Satzes der nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgebenden Regelleistungen zzgl. der anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung sowie weitere 50 % der diesen Freibetrag übersteigenden Leistung nicht überschritten. Der Mutter der Klägerin stehe danach ein Freibetrag in Höhe von 1.419,55 € zu; das Gesamteinkommen in Höhe von 1.605,14 € (Nettoarbeitsentgelt und Kindergeld) sei nach Abzug des Freibetrages zur Hälfte, das heißt in Höhe von 92,80 € monatlich auf den Bedarf der Klägerin anzurechnen. Außerdem sei für die volle Verpflegung ein Betrag in Höhe von monatlich 120,75 €, das seien 35 % der Regelleistung entsprechend der Bewertung in der Sachbezugsverordnung, zu berücksichtigen, so dass die Klägerin für einen vollen Monat Anspruch auf Leistungen in Höhe von 131,45 € habe.
Mit ihrer dagegen erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Gewährung der vollen Regelleistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende weiter. Sie verfüge über kein eigenes Einkommen. Der als sonstiges Einkommen pauschalisierte Anrechnungsbetrag von 120,75 € sei unzutreffend, da sie wegen familiärer Spannungen nicht regelmäßig die Vollverpflegung wahrnehme. So frühstücke sie nie mit der Familie, da sie ein "Frühstücksmuffel" sei. Mittagessen nehme sie durchschnittlich nur viermal in der Woche und Abendbrot lediglich zweimal in der Woche war, da sie sich aufgrund der Spannungen mit ihren Eltern häufig außerhalb des Haushalts aufhalte.
Der Beklagte hat im Laufe des Klageverfahrens mit Bescheid vom 7. März 2006 die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 18. Januar bis 31. Juli 2005 neu festgesetzt. Dabei hat er das Einkommen der Mutter nicht mehr berücksichtigt, da dieses entgegen der ursprünglichen Berechnung nur mit 1.180,60 € anzurechnen...