Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Anspruch auf Krankengeld. keine Bindung der Krankenkasse an ärztliche Feststellung der Arbeits(un)fähigkeit. Vorliegen. Vertrauenstatbestand. Beweislastumkehr. Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit durch MDK
Orientierungssatz
1. Es besteht keine Bindung einer Krankenkasse an die ärztliche Feststellung, und zwar unabhängig davon, ob der Arzt zur Feststellung der Arbeitsfähigkeit oder zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit gelangt ist (vgl BSG vom 17.8.1982 - 3 RK 28/81 = BSGE 54, 62 = SozR 2200 § 182 Nr 84). Sowohl die Krankenkassen als auch ggf anschließend die Gerichte haben vielmehr aufzuklären, ob im streitbefangenen Zeitraum Arbeitsunfähigkeit bestanden hat. Lässt sich ein solcher Nachweis indessen nicht erbringen, wirkt sich die Beweislosigkeit entsprechend den Grundsätzen der objektiven Beweislast zum Nachteil des Versicherten aus, dh bei Nichterweislichkeit der Arbeitsunfähigkeit kann ihm ein Anspruch auf Krankengeld nicht zustehen.
2. Ein Vertrauenstatbestand kann möglicherweise dann einem Versicherten zum Erfolg verhelfen, wenn eine gesetzliche Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eines behandelnden Arztes ohne weitere Kommentierung zur Kenntnis nimmt und erst nach zeitlichem Abstand die Richtigkeit der ärztlichen Feststellung in Zweifel zieht. Gleiches könnte eventuell dann gelten, wenn zwar eine der ärztlichen Feststellung widersprechende Feststellung des MDK herbeigeführt worden ist, dann jedoch ein medizinisch begründeter Widerspruch des Arztes zu der Krankenkasse gelangt und diese diesen Widerspruch nicht an den MDK weiterleitet bzw auch sonst unbearbeitet lässt.
3. Eine Beweislastumkehr kann in Betracht kommen, wenn eine Krankenkasse die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit eines Versicherten vereitelt oder zumindest erheblich erschwert. Ein solcher Sachverhalt kann insbesondere dann erfüllt sein, wenn die Krankenkasse in erheblichem Umfang gegen die Vorschrift des § 275 SGB 5 verstößt.
4. Die Vorschrift des § 275 Abs 1a S 2 SGB 5 geht davon aus, dass die Überprüfung einer ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit dann erfolgen soll, wenn nach Vorlage der ärztlichen Bescheinigung Zweifel an deren Richtigkeit aufkommen.
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung weiteren Krankengeldes für die Zeit vom 21. April bis zum 8. Juli 1997.
Die im Jahre 1938 geborene Klägerin erlernte zunächst den Beruf der Kindergärtnerin und war von 1982 bis 1994 bei den Französischen Streitkräften in Berlin beschäftigt. Daneben wurde sie für das Französische Rote Kreuz tätig. Im Jahre 1988 schloss sie eine Ausbildung zur Schwesternhelferin ab, im Jahre 1989 folgte der Abschluss einer Sanitätsdienstausbildung. Nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bei den Französischen Streitkräften war sie bei dem Caritasverband Berlin e.V. als Pflegerin in der häuslichen Krankenpflege beschäftigt; das Beschäftigungsverhältnis endete aufgrund krankheitsbedingter Kündigung des Arbeitgebers vom 18. Juli 1997 mit Wirkung zum 30. September 1997.
Ab dem 24. Februar 1997 war die Klägerin wegen Doppelsehens und wegen einer Depression arbeitsunfähig erkrankt; die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erfolgte durch ihren behandelnden Arzt Dr. M, einen Arzt für Neurologie und Psychiatrie.
Am 3. April 1997 wurde die Klägerin auf Veranlassung der Beklagten durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e.V. (MDK) untersucht; am selben Tage wurde ihr das Untersuchungsergebnis eröffnet. Nach Einschätzung des MDK war die Klägerin mit Wirkung vom 21. April 1997 wieder arbeitsfähig. Am 4. April 1997 stellte der behandelnde Arzt Dr. M erneut die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit der Klägerin fest und bescheinigte diese gegenüber der Beklagten; es erfolgten laufende lückenlose Folgebescheinigungen desselben Arztes bis zum 8. Juli 1997, die jeweils der Beklagten zugeleitet wurden. Auf einem ebenfalls durch den behandelnden Arzt Dr. M ausgestellten Auszahlschein vom 13. Mai 1997 bescheinigte der behandelnde Arzt weiterhin Arbeitsunfähigkeit.
Durch formlosen Bescheid vom 14. Mai 1997 lehnte die Beklagte gegenüber der Klägerin die Gewährung von Krankengeld über den 20. April 1997 hinaus mit der Begründung ab, das Gutachten des MDK sei für die Beklagte verbindlich. Der Einspruch ihres behandelnden Arztes lasse eine entsprechende Beurteilung nicht zu, so dass weitere Arbeitsunfähigkeit nicht habe bestätigt werden können. Dies teilte die Beklagte durch Schreiben vom selben Tage auch dem behandelnden Arzt Dr. M mit, den sie zugleich darauf hinwies, das Gutachten des MDK sei vorbehaltlich der Bestimmung des § 62 Absatz 4 des Bundesmantelvertrages Ärzte verbindlich.
Am 12. Juni 1997 legte die Klägerin, vertreten durch ihren damaligen Bevollmächtigten, gegen den Bescheid vom 14. Mai 1997 Widerspruch ein und führte hierin aus, falls der Einspruch des behandelnden Arz...