Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenzahlung an Mitglieder der Colonia Dignidad in Chile. Mitwirkungspflicht durch persönliches Erscheinen

 

Orientierungssatz

1. Die Normierung von Sachverhalten, die sich außerhalb des Bereichs der eigenen Gebietshoheit ereignen, ist dann nicht als völkerrechtswidrige Einmischung in den Hoheitsbereich eines fremden Staates anzusehen, wenn zwischen dem normierenden Staat und dem normierten Sachverhalt sachgerechte Anknüpfungspunkte bestehen, die von Völkerrechts wegen einem Mindestmaß an Einsichtigkeit genügen und mit ihr keine staatlichen Zwangsmaßnahmen verbunden sind (vgl BSG vom 25.10.1978 - 1 RJ 32/78 = BSGE 47, 118). Beides ist bezogen auf die §§ 60ff SGB 1 der Fall.

2. Die "Voraussetzungen der Leistung" gemäß § 66 Abs 1 S 1 1. Alternative SGB 1 sind nicht nachgewiesen, wenn der Rentenversicherungsträger im Rahmen der ihm obliegenden Obhutspflicht nicht in der Lage ist zu klären, ob dem Versicherten das Altersruhegeld zufließen wird.

3. Zur Frage, ob der Zufluß einer Rente an den Berechtigten materiell-rechtliche Voraussetzung für den Anspruch ist.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem das ihm zuvor bewilligte Altersruhegeld wegen fehlender Mitwirkung ab 1. Januar 1993 entzogen worden ist, sowie gegen einen Bescheid, mit dem das Altersruhegeld mit Wirkung vom 20. Oktober 1994 aus materiellen Gründen eingestellt worden ist. Ferner begehrt er die Verurteilung der Beklagten zur Weiterzahlung von Altersruhegeld über den 31. Dezember 1992 hinaus.

Der 1922 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Nach über 28jähriger versicherungspflichtiger Beschäftigung wanderte er im Jahre 1969 nach Kanada aus. Seit Mitte der siebziger Jahre lebt er in Chile. Er wohnt in Santiago auf dem Gelände der "Socieda Benefactora y Educational Dignidad" (der sog. Colonia Dignidad, im folgenden: CD), die am 22. Februar 1988 Gegenstand einer durch den Auswärtigen Ausschuß des Deutschen Bundestages, Unterausschuß für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (im folgenden: Unterausschuß) durchgeführten öffentlichen Anhörung war. Dort wurden verschiedene Auskunftspersonen zu dem Thema befragt, ob sich deutsche Staatsangehörige unfreiwillig und unter menschenrechtsverletzenden Bedingungen in der CD in Chile befänden. Während der Vertreter der CD die vorgenannte Frage verneinte, wurde sie von der überwiegenden Zahl der angehörten Auskunftspersonen bejaht.

Vor der durch den Unterausschuß durchgeführten Anhörung beantragte der Kläger im Juni 1987 die Gewährung von Altersruhegeld. Auf seine Bitte, ihm die Leistung auf ein für eine dritte Person eingerichtetes Konto zu überweisen, teilte ihm die Beklagte mit, daß das Altersruhegeld nur auf ein eigenes Konto überwiesen werden könne. Der Kläger gab daraufhin die Nummer eines auf seinen Namen lautenden Kontos bei der Kreissparkasse S bekannt, für das zwei weitere Personen verfügungsberechtigt seien. Diese Mitteilung nahm die Beklagte zu den Akten. Mit ihrem Schreiben vom 11. November 1988 teilte sie dem Kläger sodann mit: Aufgrund der am 22. Februar 1988 vor dem Unterausschuß abgegebenen Zeugenerklärungen seien Zweifel aufgetreten, ob ihm die Rente später tatsächlich zufließen werde. Diese Zweifel könne sie nur in einem persönlichen Gespräch aufklären, an dem der Kläger nach § 61 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) mitwirken müsse. Er werde deshalb gebeten, zu einem näher bezeichneten Termin in einem Hotel in C vorzusprechen oder - falls gesundheitliche Gründe der Vorsprache entgegenstehen sollten - einen Hausbesuch zu ermöglichen. Sollte er den Gesprächstermin nicht wahrnehmen, müßte sie die beantragte Rentenzahlung nach § 66 SGB I vorläufig versagen.

Der vorstehenden Ankündigung entsprechend, versagte die Beklagte in der Folgezeit die Rente mit ihrem Bescheid vom 28. Februar 1989 vorläufig, weil der Kläger die ihm angebotene Gelegenheit zu einem Gespräch nicht genutzt habe. Gleichzeitig kündigte sie an, daß sie die Rentenzahlung aufnehmen und die Nachzahlungsbeträge anweisen werde, sobald die Berechtigung des Klägers zum Bezug der Rente in einem persönlichen Kontaktgespräch mit der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland festgestellt werden könne. Nachdem sie von der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland darüber unterrichtet worden war, daß der Kläger dort angegeben hätte, sich nunmehr bei der Kreissparkasse S ein Konto eingerichtet zu haben, für das er allein verfügungsberechtigt sei, hob sie zunächst den Versagungsbescheid wieder auf. Nach Eingang einer Erklärung des Klägers, daß die Rente auf sein Konto bei der Kreissparkasse S überwiesen werden solle, bewilligte sie dem Kläger sodann mit ihrem Rentenbescheid vom 24. Januar 1990 Altersruhegeld rückwirkend vom 1. September 1987 und überwies die zuerkannten Leistungen in der Folgezeit auf das ihr angegebene Konto.

Mit ihrem am 21. August 1992 zugegangenen Schreiben vom 18. August 1992 teilte die Beklagte dem Kläger unter Hinweis auf die im Anhörungstermin des Unteraussch...

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