Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Unterbrechung des Leistungsbezuges durch Pflege von Angehörigen. Nichtverlängerung der Erlöschensfrist. Verlängerung der Rahmenfrist. Tante des Ehemannes keine Angehörige iS von § 124 SGB 3. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Der Ablauf der Verfallsfrist, innerhalb derer ein Restanspruch auf Arbeitslosengeld noch wirksam geltend gemacht werden kann (§ 147 Abs 2 SGB 3), wird durch die Pflege eines Angehörigen nicht gehemmt; die Verfallsfrist verlängert sich auch nicht um die Zeit der Pflege.
2. "Angehörige", durch deren Pflege sich die Rahmenfrist verlängert (§ 124 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB 3), sind (nur) die in § 16 Abs 5 SGB 10 bezeichneten Personen.
Orientierungssatz
Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 147 Abs 2 SGB 3 im Verhältnis zu § 124 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB 3, soweit bei Pflege von Angehörigen vor Entstehung des Arbeitslosengeldanspruches die Rahmenfrist verlängert wird, hingegen bei Unterbrechung des Arbeitslosengeldbezuges eine Verlängerung der Erlöschensfrist für die Zeiten der Pflege ausgeschlossen ist.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. März 2000 aufgehoben; die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Arbeitslosengeld.
Die 1962 geborene Klägerin war vom 1. September 1991 bis zum 15. November 1994 beitragspflichtig beschäftigt; bis zum 2. Dezember 1994 war sie arbeitsunfähig krank.
Am 5. Dezember 1994 (Montag) meldete sie sich arbeitslos und beantragte, ihr Arbeitslosengeld zu gewähren. Über diesen Antrag entschied die Beklagte zunächst nicht.
Am 13. März 1995 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie ab dem 1. April 1995 dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen werde.
Ab dem 1. April 1995 übernahm die Klägerin als Pflegeperson im Sinne des § 19 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB XI) die Pflege für die ... 1893 geborene Schwester ihres Schwiegervaters (Tante ihres Ehemannes), die (nach den Feststellungen des Sozialgerichts) Leistungen nach der Pflegestufe III erhielt, bis zu deren Tod ... 1999. Die Klägerin war nach ihren Angaben täglich 10 Stunden mit der Pflege beschäftigt.
Mit Bewilligungs-/Änderungsbescheid vom 4. Dezember 1995 bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld vom 3. Dezember 1994 bis zum 31. März 1995 (insgesamt 102 Leistungstage).
Am 6. März 1999 meldete sich die Klägerin wiederum arbeitslos und beantragte, ihr Arbeitslosengeld zu gewähren bzw. fortzuzahlen, was die Beklagte mit Bescheid vom 15. März 1999 ablehnte, da der am 3. Dezember 1994 erworbene Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 147 Abs. 2 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB III) erloschen sei und sie eine Anwartschaft für einen neuen Anspruch seitdem nicht erworben habe. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe erfülle sie ebenfalls nicht. Da sich die Vorfrist nach § 192 SGB III längstens auf drei Jahre verlängere, bestehe auch unter Berücksichtigung der Pflegezeit vom 1. April 1995 bis zum 5. März 1999 kein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (im Anschluss an die Gewährung von Arbeitslosengeld).
Zur Begründung ihres Widerspruchs trug die Klägerin vor, dass ihr seinerzeit bei einer Beratung im Arbeitsamt ergänzend zu einer ihr überlassenen "Broschüre" mitgeteilt worden sei, dass ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer der Pflege ruhe und sie nach Beendigung der Pflege weiter Arbeitslosengeld beziehen könne. Ein dieser Aussage entsprechender Passus finde sich in der ihr jetzt übergebenen "Broschüre".
Zur Begründung ihrer nach Zurückweisung des Widerspruchs (Widerspruchsbescheid vom 6. April 1999) am 6. Mai 1999 erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, dass der Gesetzgeber offenbar mit der Neuregelung des § 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III Arbeitslose begünstigen wolle, die durch die Erbringung von Pflegeleistungen in einem bestimmten Umfang sozial wertvolle Arbeiten verrichteten. Durch diese Regelung verlängere sich die Rahmenfrist zeitlich unbegrenzt. Hätte sie sich nicht bereits am 3. Dezember 1994 arbeitslos gemeldet, sondern bereits damals mit der Erbringung der Pflegeleistungen begonnen und sich dann erstmals am 6. März 1999 arbeitslos gemeldet, hätte sie offenbar (weiterhin) einen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Aufgrund dessen, dass sie die Pflege erst während des Bezuges von Arbeitslosengeld übernommen habe, könne sie nicht schlechter gestellt sein. Sie sei deshalb so zu behandeln, als ob sie erstmals mit dem 6. März 1999 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben habe, auf dessen Dauer allerdings die frühere Gewährung vom 3. Dezember 1994 bis 31. März 1995 anzurechnen sei.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 20. März 2000 den Bescheid der Beklagten vom 15. März 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. April 1999 aufgehoben und die Beklagte...