Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterhaltsgeldanspruch in Sonderfällen. Fortzahlung für Zeiten zwischen dem Ende des Unterrichts und dem Ende der Prüfung. Überschreitung des Dreiwochenzeitraums. verfassungskonforme Auslegung

 

Orientierungssatz

1. Die Prüfung ist Teil der Weiterbildungsmaßnahme, wenn sie mit dem Lehrgang in zeitlichem und organisatorischem Zusammenhang steht (vgl BSG vom 3.6.1975 - 7 RAr 17/74 = BSGE 40, 29 = SozR 4100 § 44 Nr 4 und vom 12.2.1980 - 7 RAr 31/78 = SozR 4100 § 39 Nr 16). In diesem Fall hat der Teilnehmer für den Prüfungstag schon nach der Grundnorm des § 153 SGB 3 Anspruch auf Unterhaltsgeld und es kommt nicht auf die Einhaltung der Dreiwochenfrist des § 155 Nr 4 SGB 3 an.

2. Beginnt die letzte Prüfung für einen Teil der Prüfungsgruppe eines Lehrgangs an einem Freitag vor Ablauf des Dreiwochenzeitraums des § 155 Nr 4 SGB 3 und für den anderen Teil aus organisatorischen Gründen am darauffolgenden Montag, mit der Folge, dass der Prüfungsabschluss für diese Prüflinge nicht mehr innerhalb der Dreiwochenfrist möglich ist, so sind die Voraussetzungen für den Unterhaltsgeldanspruch auch bis zu diesem Prüfungstag in entsprechender Anwendung unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck sowie in verfassungskonformer Auslegung des § 155 Nr 4 SGB 3 als erfüllt anzusehen.

 

Tenor

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist im Rahmen einer Bildungsmaßnahme die Zahlung von Unterhaltsgeld (Uhg) bis zum Ende der Prüfung.

Die Beklagte gewährte dem Kläger für die Dauer eines Lehrganges vom 31. Mai 1999 bis (Freitag, den) 26. Mai 2000 (Weiterbildung zum "Fremdsprachenkundigen Korrespondenten") sowie für den folgenden Sonnabend und Sonntag (27. und 28. Mai 2000) Uhg. Sein Begehren, ihm im Hinblick darauf, dass die Bildungsmaßnahme erst mit der (bestandenen) Prüfung am Montag, dem 19. Juni 2000, beendet worden sei, noch bis zu diesem Tage Uhg weiter zu gewähren, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 16. Juni 2000 ab. Da die Prüfung nicht innerhalb von drei Wochen nach "Maßnahmeende" stattgefunden habe, sei nach § 155 Nr. 4 Sozialgesetzbuch (SGB) III eine Zahlung von Uhg nicht möglich.

Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, die schriftliche Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK) habe bereits am 22. März 2000 stattgefunden, während die abschließende mündliche Prüfung für die verbliebenen Teilnehmer auf den 16. bzw. 19. Juni 2000 festgesetzt worden sei. Dabei habe für ihn die Prüfung "aus alphabetischen Gründen" erst am 19. Juni 2000 stattgefunden. Es sei unverständlich, dass bei Teilnehmern ein- und derselben Weiterbildungsmaßnahme je nach dem, ob sie aus den genannten Gründen am 16. oder aber am 19. Juni 2000 geprüft worden seien, unterschiedlich verfahren werde.

Durch Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2000 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Da die Prüfung nicht binnen drei Wochen nach dem Ende des Unterrichts abgeschlossen worden sei -- diese drei Wochen seien am Freitag, dem 16. Juni 2000 abgelaufen gewesen -- sei nach dem Gesetz die weitere Gewährung von Uhg (über das Ende des Unterrichts hinaus) nicht möglich. Dem Kläger sei zwischenzeitlich vom 29. Mai 2000 an Arbeitslosengeld (Alg) bewilligt worden.

Das dagegen angerufene Sozialgericht Berlin (SG) verurteilte die Beklagte am 16. Oktober 2000 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, dem Kläger auch für die Zeit vom 29. Mai bis 19. Juni 2000 Uhg zu zahlen. Trotz der Gewährung von Alg im streitigen Zeitraum habe der Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis an der Klage, weil durch die vorzeitige Gewährung von Alg dieser Anspruch verkürzt worden sei. In der Sache müsse der Auffassung des Klägers gefolgt werden. Er könne nicht anders behandelt werden als diejenigen Prüflinge, die im Hinblick auf den Anfangsbuchstaben ihres Zunamens nicht erst am Montag, dem 19. Juni 2000, sondern bereits am Freitag davor, dem 16. Juni 2000 geprüft worden seien. In diesem Sinne müsse § 155 Nr. 4 SGB III ausgelegt werden.

Mit der Berufung macht die Beklagte geltend, die Vorschrift des § 155 Nr. 4 SGB III sei eindeutig und nicht im Sinne des angefochtenen Urteils auslegungsfähig. Die Voraussetzungen des § 155 Nr. 4 SGB III seien nach dem Willen des Gesetzgebers dann nicht mehr erfüllt, wenn der letzte Prüfungstag -- unabhängig aus welchen Gründen -- außerhalb des Dreiwochenzeitraums liege. Dass die Fristüberschreitung auch auf Gründen beruhen könne, die nicht vom Teilnehmer zu vertreten seien, weil -- wie im vorliegenden Fall -- der Maßnahmeträger auf Grund organisatorischer Gegebenheiten die Prüfung erst zu einem späteren Zeitpunkt durchführe, bleibe unberücksichtigt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren E...

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