Entscheidungsstichwort (Thema)

Abzweigung von Unterhalts- bzw Arbeitslosengeld. angemessene Höhe. Selbstbehalt. Ermessensentscheidung. Berücksichtigung der abweichenden Berechnung des Kindesunterhalts im Beitrittsgebiet

 

Orientierungssatz

1. Hat die Bundesanstalt für Arbeit im Widerspruchsbescheid eine Abzweigung mit der Begründung abgelehnt, der arbeitslose Unterhaltspflichtige sei nicht leistungsfähig, so hat sie rechtswidrig schon das Bestehen einer Unterhaltsverpflichtung als Tatbestandvoraussetzung für eine Abzweigung verneint und keine Ermessensentscheidung getroffen.

2. Die Feststellung des Mindestselbstbehalts kann schematisch vorgenommen werden, wobei grundsätzlich die Düsseldorfer Tabelle einen geeigneten Maßstab darstellt (vgl BSG vom 13.5.1987 - 7 RAr 13/86 = SozR 1200 § 48 Nr 11).

3. Der sich aus der Düsseldorfer Tabelle ergebende Selbstbehalt von 1.300 DM ist jedoch nicht geeignet den notwendigen Bedarf von Unterhaltsverpflichteten mit Wohnsitz im Beitrittsgebiet zu erfassen, da auch bei der Berechnung des Unterhaltsbedarfs an die Tatsache angeknüpft wird, dass der Regelbedarf des Kindes nach § 1615f Abs 1 S 2 BGB im Beitrittsgebiet abweichend vom übrigen Bundesgebiet festgesetzt wird.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.08.2002; Aktenzeichen B 11 AL 95/01 R)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Auszahlung eines Teils der von der Beklagten an den Beigeladenen gezahlten Leistungen im Wege der Abzweigung.

Der Beigeladene ist Vater des ehelichen Kindes D (geboren 1987), einer Tochter. Er bezog seit dem 30. Oktober 1997 Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von 286,80 DM wöchentlich. Vom 1. Januar 1998 an betrug der Leistungssatz 288,26 DM. Wegen der Teilnahme an einer von der Beklagten geförderten Fortbildungsmaßnahme bezog der Beigeladene vom 5. Januar bis zum 21. April Unterhaltsgeld in derselben Höhe. Anschließend gewährte ihm die Beklagte erneut für 206 Tage Alg.

Der Kläger gewährt der nicht im Haushalt ihres Vaters lebenden D seit dem 1. Oktober 1995 Unterhaltsvorschuss und teilte dies dem Beigeladenen mit Schreiben vom 24. Januar 1996 mit.

Am 18. Oktober 1997 zeigte der Kläger der Beklagten an, dass er D gegenwärtig Unterhaltsvorschuss in Höhe von 270,-- DM monatlich leiste, weil der Beigeladene seiner Unterhaltspflicht nicht nachkomme. Er beantragte die Abzweigung eines angemessenen Teils der dem Beigeladenen gewährten Leistungen.

Die Beklagte hörte den Beigeladenen zu einer beabsichtigten Abzweigung in Höhe von 62,31 DM wöchentlich an und gewährte ihm eine Frist zur Stellungnahme bis zum 2. Januar 1998. Der Beigeladene reichte eine Berechnung des Bezirksamtes F von B ein, nach der er einen fiktiven Sozialhilfebedarf von 1.123,33 DM habe. Würden 62,31 DM wöchentlich von seinen Leistungen abgezweigt, verblieben ihm 972,78 DM, so dass ein monatlicher Sozialhilfeanspruch von 150,55 DM entstünde.

Mit Bescheid vom 20. Februar 1998 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Auszahlung eines angemessenen Teils der laufenden Geldleistung ab. Nach ihren Feststellungen ergebe sich kein Abzweigungsbetrag.

Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, der Selbstbehalt des Beigeladenen betrage 1.170,-- DM, da dieser im Ostteil Berlins lebe und nicht erwerbstätig sei. Da er 1.242,80 DM monatlich erhalte, verblieben 72,80 DM, die er zur Unterhaltszahlung für sein Kind aufwenden müsse.

Durch Widerspruchsbescheid vom 3. April 1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Beigeladene sei nicht leistungsfähig. Das monatliche Einkommen betrage 1.242,80 DM und liege unterhalb der festgelegten Freigrenze in Höhe des Selbstbehaltes von 1.300,-- DM.

Mit der dagegen vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die Beklagte gehe hinsichtlich des für den im Ostteil Berlins wohnenden Beigeladenen zu veranschlagenden Selbstbehaltes von falschen Voraussetzungen aus. Für einen nicht erwerbstätigen Unterhaltsverpflichteten mit Wohnsitz im Ostteil Berlins sei gemäß der Berliner Tabelle ein Selbstbehalt von 1.170,-- DM zugrunde zu legen. Würde der Unterhaltsanspruch zivilrechtlich geltend gemacht, würde der Beigeladene bis zur Höhe dieses Selbstbehaltes als leistungsfähig angesehen.

Das SG verurteilte die Beklagte, bei der Höhe des Abzweigungsbetrages an den Kläger als Selbstbehalt des Beigeladenen seit Januar 1998 1.170,-- DM und seit Juli 1999 1.190,-- DM monatlich zu berücksichtigen und ließ die Berufung zu (Urteil vom 10. Mai 2000). Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass es grundsätzlich nicht zu beanstanden sei, dass für die Beurteilung, in welcher Höhe die Abzweigung angemessen sei, die Düsseldorfer Tabelle Anwendung finde. Diese Rechtsprechung könne für das Beitrittsgebiet nicht gelten. Nach wie vor gebe es in den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen und im Lebensstandard zwischen den alten und neuen Bundesländern Unterschiede, die es rechtfertigten, die Berliner Tabelle als Vortabelle zur Düsseldorfer Tabelle anzuwenden, wenn sowohl Unterhaltsgläubiger als auch Unterhaltssch...

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