nicht rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflegestufe. Aufhebung. Rücknahme. Bestandsschutz
Leitsatz (redaktionell)
1. Mit der pauschalen Überführung aller Leistungsempfänger nach den § 53 ff. SGB V a. F. in die Pflegestufe II hat der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, dass in Einzelfällen auch solche Versicherte in den Genuss von Leistungen nach der Pflegestufe II kommen, die nach den Kriterien der §§ 14 und 15 SGB XI lediglich in die Pflegestufe I oder sogar in die so genannte Pflegestufe „null” hätten eingeordnet werden dürfen.
2. Die Rücknahme nach § 45 SGB X kommt nicht in Betracht, weil es wegen der Bestandsschutzregelung des Art. 45 PflegeVG an der Rechtswidrigkeit einer eventuell von Anfang zu günstigen Überleitung in die Pflegestufe II fehlt.
3. Der partielle Bestandsschutz des Art. 45 PflegeVG ist im Rahmen des § 48 SGB X zu beachten, auch soweit es um die Änderung der tatsächlichen Verhältnisse geht.
Normenkette
SGB X §§ 45, 48; SGB XI §§ 37, 14-15; PflegeVG Art. 45; SGB V a.F. § 53
Verfahrensgang
SG Cottbus (Entscheidung vom 19.04.2000; Aktenzeichen S 3 P 36/98) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 19. April 2000 sowie der Bescheid der Beklagten vom 18. November 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. April 1998 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger das Pflegegeld nach der Pflegestufe II ab 01. Dezember 1997 auszuzahlen. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach der Pflegestufe II aus der Pflegeversicherung mit Wirkung zum 01. Dezember 1997.
Der am ... 1982 geborene Kläger leidet an einer frühkindlichen Hirnschädigung und daraus folgenden ataktischen Bewegungsstörungen. Der Kläger ist schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 zunächst mit den Merkzeichen H, G, aG und B (Bescheid des Amtes für Soziales und Versorgung Cottbus vom 16. März 1993), seit 2000 mit den Merkzeichen G, aG und B (Bescheid des Amtes für Soziales und Versorgung Cottbus vom 15. Juni 2000).
Bis zum Juni 1999 wohnte er in der Fachschule für Körperbehinderte in H ... Nach dem Schulabschluss wohnt er nach eigenen Angaben wieder bei seinen Eltern und ist in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig.
Der Kläger beantragte bereits im Februar 1991 Leistungen wegen Schwerpflegebedürftigkeit aus der gesetzlichen Krankenversicherung (häusliche Pflegehilfe als Urlaubspflege). Nach Vorlage eines ärztlichen Befundberichtes des Facharztes für Orthopädie Dr. med. H. (Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule für Körperbehinderte/Medizinischer Bereich/H.) vom 15. Januar 1991 lehnte die AOK Brandenburg den Antrag mit Bescheid vom 31. Mai 1991 zunächst ab. Nach Vorlage weiterer Behandlungsunterlagen des Arztes für Neuropsychiatrie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene Kielgast vom 17. August 1993 holte die AOK Brandenburg ein Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung im Land Brandenburg (MDK) ein. Nach dem bei der AOK Brandenburg am 23. November 1993 eingegangenen MDK-Gutachten des Facharztes für Innere Medizin Dr. M. litt der Kläger an einer frühkindlichen Hirnschädigung mit Kleinhirnfehlbildung, Spracheinschränkung, geistiger Retardierung und psychosozialer Entwicklungsstörung. Es bestehe eine erhebliche hypoton-ataktische Bewegungsstörung der oberen und unteren Extremitäten mit verminderter Kraftentfaltung, Standataxie, ataktischem Gang. Nur wenige Schritte seien unter Anhalten an Gegenständen möglich. Weiterhin bestehe als Folge der infantilen Cerebralparese eine hochgradige Sprachentwicklungsstörung und Debilität. Hilfebedarf sei für nahezu alle täglichen Verrichtungen des täglichen Lebens notwendig (Körperpflege, Nahrungszubereitung, Kommunikation, Fortbewegung). Die Pflege- und Versorgungssituation könne nicht verbessert werden, eine Nachuntersuchung könne in 2 Jahren empfohlen werden. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses MDK-Gutachtens wird auf Blatt 9 bis 15 der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Mit Bescheid vom 16. Dezember 1993 bewilligte daraufhin die AOK Brandenburg dem Kläger häusliche Pflegehilfe ab dem 16. Juli 1993.
Aufgrund eines weiteren nach Aktenlage erstellten Gutachtens des MDK vom 06. Mai 1994, wegen dessen Inhalts im Einzelnen auf Blatt 18 und 19 der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen wird, bewilligte die AOK Brandenburg mit Bescheid vom 23. Juni 1994 dem Kläger Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit ab dem 01. Januar 1991.
Nach dem Vorbringen der Beklagten erhielten alle Versicherten, die bis zum 31. März 1995 Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit nach den §§ 53 ff. des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) erhalten hatten, also auch der Kläger bzw. dessen Vertreter, einen gleichlautenden Musterbescheid, in dem ihnen u. a. mitgeteilt wurde, sie erhielten ab 01.April 1995 automatis...