nicht rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit der Praxisgebühr. Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Zulässige Typisierung. Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Schließung vorhandener Finanzierungslücken. Keine willkürliche Benachteiligung Schwerbehinderter

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Praxisgebühr ist ein vorweggenommener Anteil an der angemessenen Vergütung, die mit der Gesamtvergütung für alle gesamtvertraglich gebundenen Leistungserbringer erzielt werden soll.

2. Eine Rückerstattung der Praxisgebühr aufgrund des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs kommt nicht in Betracht, da dessen Voraussetzungen nicht erfüllt sind; die Praxisgebühr findet ihre rechtliche Grundlage in § 28 Abs. 4 S. 1 SGB V in Verbindung mit § 61 S. 2 SGB V.

3. Die gesetzlichen Regelungen der Praxisgebühr sind nicht verfassungswidrig. Das vom Gesetzgeber mit ihrer Einführung verfolgte Ziel, die gesetzliche Krankenversicherung als solidarische Gemeinschaft mit umfassender medizinischer Versorgung zu erhalten, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn der Gesetzgeber zur Verwirklichung dieses Ziels nicht den Weg einer weiteren Steigerung der Beitragssätze, sondern der Beseitigung von strukturellen Mängeln und Einsparungen innerhalb dieses Systems gegangen ist.

4. Auch Schwerbehinderte sind durch die Einführung der Praxisgebühr nicht unverhältnismäßig oder willkürlich betroffen.

 

Normenkette

SGB V § 28 Abs. 4 S. 1, § 61 S. 2; GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 06.08.2004; Aktenzeichen S 4 KR 72/04)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 06. August 2004 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Erstattung der für die Inanspruchnahme eines an der ambulanten zahnärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringers geleisteten Zuzahlung in Höhe von 10,00 EUR sowie Feststellung, dass er zukünftig dazu nicht verpflichtet ist.

Der im ... 1965 geborene Kläger, der bei der Beklagten versichert ist, wurde am 06. Januar 2004 von der Zahnärztin Dr. M. behandelt. Er zahlte hierfür 10,00 EUR (so genannte Praxisgebühr) unter Vorbehalt.

Am 07. Januar 2004 beantragte er bei der Beklagten Erstattung dieses Betrages, da die Zuzahlung verfassungswidrig und sozial unausgewogen sei. Er werde gegenüber gesunden Versicherten, die weniger zum Arzt gingen, ungleich behandelt. Die Zuzahlung verstoße gegen die Systematik der solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung, wonach sich die Belastung nicht nach dem Risiko, sondern nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit richte.

Mit Bescheid vom 13. Januar 2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab.

Den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem der Kläger einen Verstoß gegen das Solidarprinzip und Art. 3 Grundgesetz (GG) geltend machte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2004 zurück: Die Krankenkasse dürfe Kosten nur erstatten, soweit es das Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) vorsehe. In § 28 Abs. 4 Satz 1 SGB V sei jedoch gerade eine Zuzahlungspflicht normiert. Es handele sich dabei um eine Eigenbeteiligung des Versicherten an der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Wegen der in § 62 SGB V geregelten Belastungsgrenze sei sichergestellt, dass eine Belastung des Versicherten "über Gebühr" vermieden werde.

Dagegen hat der Kläger am 06. April 2004 beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) Klage erhoben.

Er hat die Ansicht vertreten, die Erhebung der so genannten Praxisgebühr sei wegen Verstoßes gegen die Verfassung unzulässig. Art. 3 Abs. 1 GG verbiete jedwede Unterscheidung von Bürgern, was bedeute, dass Personen, die wesentlich gleich seien, nicht ungleich behandelt werden dürften. Außerdem untersage Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG explizit jegliche Benachteiligung wegen Behinderungen. Es liege in der Natur der Dinge, dass Versicherte mit schweren und insbesondere mit langandauernden oder dauerhaften Erkrankungen und/oder Behinderungen häufigerer medizinischer Behandlung bedürften, als dies bei im Wesentlichen gesunden Versicherten der Fall sei. Allein die Häufigkeit notwendiger medizinischer Behandlungen lasse jedoch keinen Rückschluss darauf zu, ob dadurch zwangsläufig höhere Kosten für die Solidargemeinschaft entstünden als beispielsweise bei zwar wenigen, aber extrem kostenintensiven Behandlungen, zum Beispiel nach schweren Verkehrs- oder Sportunfällen, oder bei Untersuchungen wie der nicht selten durchgeführten Magnetresonanztomografie. Durch die Erhebung der so genannten Praxisgebühr erhöhten sich die für die gesetzliche Krankenversicherung aufzubringenden Zuzahlungen der Versicherten. Da diese Kostenbelastung jedoch nicht abhängig vom individuellen wirtschaftlichen Leistungsvermögen überbürdet werde, treffe sie vor allem schwer un...

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